Folge 6:
Felicia
Previously...
Vor 14 Jahren fand ein Mann die Pyramide von Alexander dem Großen, befreit fünf Energieerscheinungen aus fünf Tafeln und wird unter der zusammenfallenden Pyramide begraben. Peter hatte einen merkwürdigen Traum, indem er mit einer durchsichtigen Spinne gegen vier andere Tiere kämpfte. Er starb, doch die Spinne belebte ihn wieder und die anderen Tiere knieten vor ihm nieder. Otto Oktavius, der Chef von Oktatech, benötigt ein vierarmiges Exo-Skelett um sich zu bewegen und einen Computer zum Sprechen. Sein Leben könnte jeden Tag enden, weshalb er Spider-Mans Gene braucht, um zu überleben. Sein Handlanger Harry Osborn, dessen Vater für tot erklärt wurde, soll diesen ausfindig machen, dabei plant er im Verborgenen sich Oktavius' zu entledigen. Um seinen Auftrag auszuführen, ging er an die High School und versucht seitdem Peter als Freund zu gewinnen. Durch eine Falle konnte Harry beweisen, dass Peter und Spider-Man ein und dieselbe Person sind. Nun will er ihm das Leben zur Hölle machen. Cletus Cassidy, ein wahnsinniger Verbrecher, tötete von einem Symbionten gelenkt Peter's Onkel in dessen Beisein. Der Symbiont erreichte sein Ziel. Voller Schuld und Hass tötete Peter Cassidy in einem Kampf, bei dem er auch das Haus der Parkers zerstörte. Man fand die Leiche des Irren nicht mehr, da ein Van von Toomes Industries ihn abgeholt hat. Eine Person mit Namen Parker benutzt Peter für ein Experiment, er ist ein Testlauf. Die Person wollte, dass er die Spinne fand, die ihn zu Spider-Man machte.
John Jonah Jameson III., ein Astronaut, brachte aus dem Weltall einen Rubin mit, der ihn in einen Werwolf verwandelte. Er ist einer von mehreren Bestien und will nichts mehr als Spider-Man vernichten. Doch AT deutete an, dass er noch nicht zu den stärksten Bestien gehörte. Peter entriss ihm in einem harten Kampf den Kristall, der von zwei Polizisten zu einem Spezialisten gebracht werden sollte. Dmitri Kravinoff, ein von dem mysteriösen AT angeheuerter Auftragskiller, tötete sie allerdings und stahl ihn. Der Rubin ist der Teil eines Kompasses. Jameson brachte auch einen schwarzen Symbionten mit, der bei seinem Kampf mit Peter auf dessen Kostüm überging und die Spinne auf diesem schwarz werden ließen. Es vergiftet seitdem seinen Verstand und macht aus ihm einen sich manchmal nicht kontrollierenden, aggressiven Menschen. Zudem ernährt sich der Symbiont von seinen dunklen Gefühlen. Spider-Man arbeitet des Öfteren mit dem Detective Terri Lee zusammen und sie sind bereits ein recht gutes Team, doch sie misstraut ihm und versucht seine wahre Identität herauszufinden, um ihn stoppen zu können, falls es nötig ist.
Es war eine ruhige Nacht, der Vollmond schien durch das große Dachfenster und erhellte ein paar Vitrinen mit teilweise unbezahlbaren Zeugnissen vergangener Geschichte. Davon verstand Reeve McLee jedoch recht wenig. Er war ein einfacher Wachmann, der in seiner beleuchteten Kabine auf das Ende seiner Schicht wartete. Dabei fielen seine Augen immer wieder zu, er hatte nicht genug Schlaf gehabt. Entspannt saß er auf seinem Stuhl. In der linken Hand hielt er einen von seiner Frau selbstgemachten Donut, von dem bereits ein paar Stücke abgebissen worden waren. Nach einem weiteren Biss verschwand er gänzlich in seinem Mund. Mit einem Schluck Wasser befreite er dann einen zwischen den Zähnen festklebenden Rest. Seine Frau war eine gute Bäckerin und es war ihre liebste Freizeitbeschäftigung. Seit er sie geheiratet hatte, hatte sich bereits ein kleiner Bauch gebildet, aber er konnte ihrem Gebäck einfach nicht widerstehen. Und es war das einzige Gute an seinen Nachtschichten. Er hasste und verachtete diesen Job zutiefst, aber sie erwartete ein Kind, da war die Frage wie man an das Geld kam zweitrangig. Gelangweilt ließ er seinen Blick über die Ausstellung schweifen. Er wusste nicht einmal was er hier bewachte, am Eingang meinte er irgendwas über "Schätze vergangener Völker" gelesen zu haben, aber sicher war er nicht. Nach all den langweiligen Nächten überraschte es ihn, als die Bildschirme auf dem Tisch vor ihm, die die Aufzeichnungen der Überwachungskameras abbildeten, nur noch Schnee zeigten. Sofort war er hellwach. Er nahm seine Füße vom Tisch und prüfte zuerst alle Schalter hinter den Bildschirmen, es war nämlich schon einmal passiert, dass einfach nur Stecker nicht richtig drin gesteckt hatte. Doch nachdem er jeden Stecker erneut reingedrückt hatte, schneite es immer noch auf den Bildschirmen. Also musste er den Alarm auslösen. Seine Hand bewegte sich in Richtung des roten Knopfes zu seiner rechten. Doch als seine Hand bereits über diesem thronte, hörte er ein Geräusch über sich. Er packte instinktiv den Schlagstock auf der linken Seite seines Gürtels, allerdings schalt er sich bereits im selben Moment einen Narren. Oben verliefen nur enge Luftschächte, es war also vermutlich nur ein Tier gewesen oder etwas dergleichen. Dennoch war er beunruhigt und drückte auf den Knopf. Normalerweise begann dieser nun zu blinken und das Museum wurde lichterloh erhellt, aber nichts passierte. Erneut hörte er über sich ein Geräusch, doch es war schon zu spät für ihn, als er sich umdrehte. Ein Fuß traf ihn mit voller Wucht an der Schläfe und knockte ihn aus. Während er bewusstlos zu Boden fiel, landete eine schlanke Frau elegant auf dem Boden. Sie war in eine schwarze, enge Lederhose und Lederjacke mit weißem Fell im Halsbereich gehüllt, deren Reißverschluss bis zur Mitte heruntergelassen war und zeigte, dass sie unter ihr nichts trug. Ihr hübsches Gesicht war etgegen des ungeschriebenen Diebesgesetzes nicht von einer schwarzen Maske bedeckt, lediglich über ihren Augen befand sich eine. Ihr langes blondes Haar reichte bis zum Ende des Brustkorbs. Ihren Mund umspielte ein Lächeln, als sie seelenruhig die Kabine des Wachmanns verließ und auf eine Vitrine an der Wand auf der anderen Seite zuging. Dort angekommen betrachtete die Diebin das Objekt. Sie schaute etwas enttäuscht. Als ein Mann, der sich selbst als Chamäleon vorstellte, sie im Namen einer von ihm nur AT genannten Person kontaktierte und versprach, sie für den Raub einer Kette aus dem Museum fürstlich zu entlohnen, hatte sie etwas Pompöses und Bedeutendes erwartet. Aber man heuerte sie an, um diesen wertlosen Müll zu stehlen? Doch Geld ist Geld, sagte die hübsche Blondine sich und schlug die Vitrine mit ihrem Ellenbogen ein. Um die restlichen Wachmänner oder die Alarmanlage brauchte sie sich keine Sorgen machen. Die Wachmänner, die rund um das Museum positioniert worden waren, hatte sie, in den Mantel der Dunkelheit gehüllt, nacheinander ausgeschaltet, die Alarmanlage von außen abgeschaltet und war dann durch den Lüftungsschacht hereingekommen. Behutsam packte sie die Halskette vor ihr mit ihren behandschuhten Händen, in deren Mitte ein großer, aber farbloser Kristall saß, hüllte sie in ein Tuch und verstaute sie in einem kleinen Rucksack, den sie auf dem Rücken trug. Er war manchmal etwas sperrig, aber wo sonst sollte sie ihr Diebesgut verstauen? Zwischen ihre Kleidung und ihren Körper passte kaum Luft. Auf dem Weg zum Ausgang ließ sie ihre Blicke über die Vitrinen schweifen und mit interessiertem Blick blieb sie vor der Hauptattraktion stehen. Zwei Armreife aus reinem Vibranium, ein sehr seltener Stoff. Man ging davon aus, dass die Ureinwohner eines alten, afrikanischen Stammes mit ihnen ihrem König huldigen wollten. Auch diese Vitrine zersplitterte und Felicia verstaute sie ebenso wie die Kette in dem schwarzen Rucksack.
"Die werden mir eine hübsche Stange Geld bringen", sagte sie und verließ das Museum dreist über die Eingangstür, die Gitter, die normalerweise zwischen Türen, Fenster und dem Ausstellungssaal stehen, waren beim Abschalten der Alarmanlage automatisch hochgefahren. Dann war sie ebenso schnell wie sie aufgetaucht war in der Nacht verschwunden. Nicht umsonst hatte sich Felicia Hardy den Ruf als die Beste erworben. Als Meisterdiebin Black Cat!
Der Biss einer radioaktiv verstrahlten Spinne verleiht dem Schüler Peter Parker die proportionale Kraft und Beweglichkeit einer Spinne! Mit seinen selbstgebauten Netzdüsen kämpft Peter als Spider-Man gegen alle möglichen Superschurken… und versucht nebenbei noch etwas wie ein normales Leben zu führen.
WhiteDino präsentiert: The Astonishing Spider-Man!
Am nächsten Morgen kam Peter vollkommen übermüdet die Treppe ins Erdgeschoss herunter. Unter seinen Augen zeichneten sich Augenringe ab, die er in der Größe nicht einmal kannte. Es fiel ihm schwer zu schlafen, die Bürde seiner Maske lastete zu schwer auf ihm. Woher nahm er das Recht über Leben und Tod zu entscheiden? Und warum hatte er den Verbrecher aufgehalten? Diese Frage beschäftigte ihn Tag und Nacht. Was hatte ihn da geritten? Es war zwar das Richtige gewesen einen Bankräuber auszuschalten, doch es war nicht seine Angelegenheit. Er hätte sich nicht darum kümmern müssen. Könnte er alles rückgängig machen, würde er den Verbrecher vorbeilaufen lassen. Dann wäre Onkel Ben noch am Leben und Carnage nicht einmal eine Erinnerung. Der Mann, den er getötet hatte, war zwar eine Bestie gewesen, aber es war nicht seine Schuld gewesen. Das rote Zeug hatte ihn manipuliert, besessen, verändert. Und Peter hatte sein Leben ausgelöscht. Was für ein Held tut so etwas? Spider-Man war nichts weiter als ein gewöhnlicher Mörder, sein Handeln war seinem Zorn und nicht der Gerechtigkeit entsprungen. Zwei Menschen tot, wa...
"Peter, willst du auf der Treppe festwachsen?", begrüßte Tante May ihn.
"Morgen, Tante May. Ich war nur in Gedanken versunken."
"Wie dein Vater früher, etwas, womit ihn dein Onkel immer aufgezogen hatte", sagte sie mit brüchiger Stimme.
Peter wusste ihren Versuch zu schätzen, tapfer zu sein, aber man konnte deutlich sehen, dass sie geweint hatte. Doch sofort wand er wieder seinen Blick von den geröteten Augen seiner Tante. Er konnte ihr nicht einmal mehr ins Gesicht sehen. Wie sollte er auch? Er hatte ihren Ehemann auf dem Gewissen. Nur eine kaltblütige Person könnte das, aber so Peter war nicht. Der Schüler nahm am Esstisch Platz, wo bereits zwei Scheiben Brot auf ihn warteten. Obwohl er wie jeden Morgen sich das Brot strich und Tante May wie jeden Morgen ihren Kaffee trank, so war doch alles anders. Onkel Ben fehlte, es war als hätte man die Mitte eines Bildes herausgeschnitten. Die Tageszeitung lag unberührt auf dem Küchentisch, normalerweise hatte sein Onkel sie fast zu Ende gelesen, wenn Peter herunter kam. Ein aufmunternder Kommentar, seine fröhliche Art, er fehlte Peter einfach sehr. Er würde nie sehen können, was aus ihm wird, wie er seinen Abschluss macht. Seine Hochzeit wird er verpassen, Peters Kinder werden ihn nur aus Geschichten kennen. Sein Onkel hatte aus ihm den Menschen gemacht, der er heute war und er würde die Früchte davon niemals sehen können. Bei diesem Gedanken füllten sich Peter´s Augen mit Tränen. Schnell drehte er sich weg, damit Tante May sie nicht sah. Es war für sie schon schlimm genug. Er wischte sich zwar schnell die Tränen ab, aber damit kämpfen tat er trotzdem. Und dann zeigte sich die gleiche Situation wie an jedem Tag seit Peter´s Onkel nicht mehr da war. Schweigen herrschte, das ganze Haus war mucksmäuschenstill. Tante May und Peter redeten kaum miteinander, jeder hing seinen Erinnerungen nach. Dieses Schweigen blieb, bis Peter ging und May ihm einen schönen Tag in der Schule wünschte. Peter erwiderte, wie er es immer getan hatte, dass er dafür die Schule wechseln müsse und schlug die Tür hinter sich zu. Doch bereits während er den Vorgarten in Richtung Bürgersteig durchquerte, sah er durch die Scheibe, die in die obere Hälfte der Tür eingearbeitet worden war, wie May sich die Hände vor das Gesicht hielt und anfing zu weinen. Wie gern würde Peter ihr helfen, wie gern würde er ihren Schmerz lindern. Aber wie sollte er anderen helfen, wenn er sich selbst nicht helfen konnte?
In den vollen Schulfluren traf er nach dem Ende der letzten Stunde an seinem Spind auf Harry. Der Tag war an ihm vorbeigezogen, als sei es eine Minute gewesen. Den Unterricht hatte er komplett verpasst, seine Gedanken hatten immer nur um seinen Onkel gekreist. Immer wieder diese eine Frage: Warum habe ich seinen Tod nicht verhindert? Es war einfach unlogisch, doch er konnte es sich nicht erklären. Er hatte ihn nicht absichtlich sterben lassen. Aber wieso hatte er kein Netz geschossen, wieso hatte er nur zugesehen? Peter gab gerade die Kombination ein, als Harry ihn begrüßte, denn sie hatten sich heute noch nicht gesehen. Der junge Held grüßte halbherzig zurück und griff sich sein Chemiebuch. Er knallte seinen Spind zu, schulterte seinen Rucksack und war im Begriff zu gehen, als Harry ihn an der Schulter packte.
"Du siehst grauenhaft aus, Peter. Sicher, dass du meine Hilfe nicht brauchst?", fragte der Osborn Spross mit verständnisvoller Stimme.
"Zum tausendsten Mal, nein, Harry", entgegnete Peter gereizt und riss sich los.
"Wenn du irgendetwas brauchst, sag mir nur Bescheid", bot er seine Hilfe erneut an, während er sich neben Peter begab.
"Danke, aber nein. Versteh mich nicht falsch Harry, ich bin dir viel schuldig. Du hast die Beerdigung bezahlt und unser Haus reparieren lassen, dafür werde ich immer in deiner Schuld stehen. Ohne dich würde Tante May vor einem Schuldenberg stehen. Aber diese Sache muss ich mit mir alleine ausmachen."
"Genau da liegt aber dein Denkfehler, denn du frisst es in dich hinein und damit es niemandem geholfen. Ich will nicht wie eine Psychodoc klingen, aber du musst mit jemandem reden."
"Und dieser jemand bist du?", erwiderte Peter.
"Nein, also, wenn du willst schon, aber wie wäre es mit deiner Tante? Sie macht das Gleiche durch wie du, sie würde es verstehen."
"Nein, würde sie nicht. Niemand kann das", murmelte Peter.
Sie gingen mit einer Masse an Schülern die Stufen der kleinen, zur Eingangstür führenden Treppe herunter, als Liz von der Seite an Peter herantrat. Ihre blonden Haare waren zerzaust und ihre Augen wirkten glasig und abwesend. Teilnahmslos schlurfte sie auf ihn zu. Sie war immer recht hübsch gewesen, aber das Wrack vor ihm hatte jedes Quäntchen Schönheit scheinbar den Drogen überlassen. Da es auf Peter den Eindruck hatte, als hätte sie etwas genommen, war er nicht sehr erpirscht auf ein Gespräch. Sollte sie sich doch zerstören, es war nicht sein Problem.
"Petey, alter Freund. Ich habe das von deinem Onkel gehört und ich hätte da was, mit dem du ihn wiedersehen könntest. Es funktioniert auf jeden Fall, ein wahres Wunder. Es ist ganz einfach", fing sie an und nun war Peter sich sicher, dass sie high war. Während sie sprach schaute sie dauernd nach rechts und links, als fürchte sie entdeckt zu werden.
"Wenn es irgendetwas mit deinen Drogen zu tun hat, dann ist es mir egal, Liz", antwortete Peter hart und beschleunigte seine Schritte.
"Nein, Petey wirklich. Damit hat es rein gar nichts zu tun, ich schwöre es. Willst du deinen Onkel nicht wiedersehen?"
Aber Peter verdrehte nur die Augen, doch bevor er seine Mitschülerin stehen lassen konnte, hielt ihn Harry erneut am Arm fest.
"Ich bitte dich, Peter, geh mit ihr mit", flüsterte ihm ins Ohr. "Liz hatte immer einen offenen Umgang mit Drogen, aber selbst für sie waren die letzten Wochen extrem. Ich weiß, du hast mit Sicherheit andere Sorgen, aber du kannst sie ihr Leben doch nicht einfach so wegwerfen lassen."
Er hatte vollkommen Recht, erkannte Peter bereits während Harry den Satz noch gar nicht beendet hatte. Was tat er hier eigentlich? Er konnte einem Menschen helfen und sofern etwas derartiges in seiner Verantwortung lag, musste er dieser auch gerecht werden. Peter verlangsamte seine Schritte wieder und ließ Liz so aufschließen. Diese schaute immer noch gehetzt hin und her, wahrscheinlich eine Nebenwirkung der Droge.
"Alles klar, Liz, dann bring mich bitte zu meinem Onkel."
Der Bitte seines Freundes Harry folgend war Peter seiner Mitschülerin, deren paranoide Nebenwirkungen noch weiter zugenommen hatten, in eine dunkle Ecke des Schulgartens gefolgt. Dort wuchs keine Pflanze mehr, der Boden bestand nur aus leicht feuchter Erde und Unkraut und man stand fast an der Wand, die die Schule von der tiefer liegenden Autobahn abgrenzte. Die Geräusche der Automotoren waren also allgegenwärtig. Nervös schaute Liz auf die Uhr. Der Dealer schien zu spät zu kommen.
"Liz, ich bin sehr dankbar für deine... ähem... nennen wir es Hilfe, aber ich verstehe nicht, warum du eine derartige Droge nehmen solltest", versuchte Peter endlich aus ihr die Hintergründe herauszubekommen.
"Mein Vater, es gibt mir meinen Vater wieder. Es ist, als wäre er noch da und hätte mich und meine Mutter nicht im Stich gelassen. Ich kann mit ihm reden und lachen. Es ist das größte Geschenk, dass man mir machen konnte", erwiderte Liz voller Begeisterung. Sie schien wirklich komplett auszublenden, was die Droge in Wahrheit tat und vor allem ihr antat.
"Aber du musst doch wissen, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Es sind nur Halluzinationen, die aus deinen Erinnerungen eine subjektive Version deines Vaters erschaffen und somit das perfekte Bild von ihm erfüllen, das du hast. Eine Illusion nichts weiter ist das. Und es zerstört dich, Liz, das musst du doch sehen."
Peter wusste nicht, ob die Konfrontation eines Junkie´s mit der Realität wirklich die beste Lösung war, doch zu seinem Erstaunen reagierte Liz ehrlich.
"Ich weiß das und doch ist es mir egal. Ich würde alles dafür tun mehr mit meinem Dad zu verbringen. Ich habe ihn kaum gekannt, also ist es die Nebenwirkungen wert."
Auf diesem Weg erreichte er nicht viel.
"Und warum weihst du mich dann in dein Geheimnis ein?"
"Ich weiß, wie es ist einen Menschen zu verlieren. Jahrelang hab ich mit Zweifeln und einer großen Leere, die Party´s nicht füllten, gekämpft. Wieso hat er mich verlassen? Lag es an mir? Habe ich was falsch gemacht? Ich weiß nicht, was es bei dir..."
"Und wie sollen mir da Drogen helfen? Das ist doch kein Weg, nur eine Flucht vor der Realität."
"Was war es bei dir?"
Peter atmete tief durch. Es war schwer das laut auszusprechen. "Schuld, ich konnte ihn nicht retten."
"Siehst du. Und es hat mir geholfen meinen Vater zu sehen, aber bis ich dieses Wundermittel gefunden hatte, war ich innerlich bereits gebrochen, also wollte ich dir dein Leid ersparen."
Wahrscheinlich hatte sie die Droge morgens eingeworfen, denn ihre Antworten waren kein Kauderwelsch, wie Peter es heute im Biounterricht erlebt hatte. Trotzdem hatte sie ihre Hemmungen verloren. Fast musste Peter lachen. Das Partygirl öffnet sich ihrem beinahe One-Night-Stand in einer der entlegensten Ecken des Schulhofes. Doch ihre Antwort trieb auch den Zorn in ihm hoch.
"Wie kannst du von Leid sprechen, Liz!", brüllte er sie an. "Das Leid ist nicht der Weggang deines Vaters, sondern diese beschissenen Drogen. Sie zerstören dich, nicht deine Trauer! Du musst endlich aufwachen. Du musst doch merken, wie daneben dein Leben momentan ist. Es geht den Bach ´runter!"
Liz' glasige Augen blieben vollkommen unberührt. "Es ist mir egal, was du oder die anderen denken. Mein Vater ist das Einzige, was ich brauche", entgegnete sie teilnahmslos.
"Und deine Mutter? Du entfremdest dich von ihr. Ich weiß nicht, warum dein Vater gegangen ist, aber das hätte er bestimmt nicht gewollt!"
Jetzt begannen sich Emotionen in ihrem Gesicht zu zeigen. "Wie willst du zur Hölle wissen, was mein Vater gewollt hätte? Was bildest du dir ein über ihn zu urteilen?", keifte sie Peter an.
Und erneut der falsche Weg, dachte Peter. Neben ihnen begann es zu rascheln und Liz´ Gesicht hellte sich sofort auf, als sie einen ausgemergelten Mann mit zerlumpten und dreckigen Klamotten und einer Mütze auf dem Kopf erblickte. Die Taschen seiner mit Dreck und Abfällen bedeckten Jacke waren prall gefüllt. Wie ein kleines Kind an Weihnachten leuchteten Liz' Augen. Wenn das keine Sucht war, dann wusste Peter auch nicht mehr weiter.
"Das ist er, Peteyboy", jubelte sie und zerrte den Schüler mit sich.
Als Peter sich dem Dealer näherte, stieg der Geruch des selbigen in seine Nase und er glaubte sich übergeben zu müssen.
"Wie immer?", fragte der Dealer mit rauchiger Stimme.
Liz nickte eifrig. "Wie immer, 50 Dollar für ein Gespräch mit meinem Vater."
Mit zitternden Händen, Peter tippte auf eine weitere Nebenwirkung, griff sie in ihre Jackentasche und holte zweihundert Dollar heraus. Der Dealer gab ihr dafür vier Spritzen, die mit einer merkwürdigen, grünen Flüssigkeit gefüllt waren. Zweihundert Dollar! Und ihrem Zustand nach zu urteilen, waren bereits Unmengen an Geld in diese Scheiße gesteckt worden. Seinen Onkel hatte er enttäuscht und seine Verantwortung vernachlässigt, aber dieses Mal nicht. Ehe Liz, die die Spritze bereits angesetzt hatte, sich die Droge injizieren konnte, schlug er sie ihr aus der Hand. Liz war vollkommen perplex und das nutzte Peter, um ihr die restlichen Spritzen aus der Jackentasche zu ziehen und sie auf den Boden zu verwerfen. Nach einem gezielten Tritt zersplitterten sie und die Flüssigkeit lief aus.
"Und nun zu dir, Freundchen", sagte Peter bedrohlich und ging auf den Dealer zu. Dieser hob abwehrend die Hände.
"Ist doch alles okay, Bruder, ich helf der Kleinen doch nur."
Peter sah rot. Seine rechte Faust krachte in das Gesicht des Dealers. Er legte all seinen Frust und Zorn hinein. Vollkommen orientierungslos torkelte sein Kontrahent umher und ein Kinnhaken hob ihn von den Füßen. Peter stürzte sich auf ihn und verpasste ihm Schlag um Schlag. Erst als er das blutüberströmte Gesicht des Dealers sah, ließ der Schüler von ihm ab. Seine Augen waren geschwollen, seine Lippe aufgeplatzt. Peter packte den heruntergekommenen Mann am Kragen und hob ihn hoch. Der Schüler war größer und deshalb baumelte der Dealer in der Luft.
"Du bist eine widerwärtige Kreatur, ein Monster", schrie er und ließ seine Faust in den Magen des Mannes krachen. Der Schlag presste dem Dealer jegliche Luft aus der Lunge heraus und aufgrund der nicht so sorgfältigen Platzierung brach Peter ihm eine Rippe. Und er war noch nicht fertig. Doch von hinten stürzte sich die kreischende Liz auf ihn. Sie sprang auf seinen Rücken und brachte Peter so aus dem Gleichgewicht. Unkontrolliert fielen sie nach hinten und landeten unsanft auf dem Boden. Sofort rappelte sich Peter wieder auf.
"Was tust du da?", brüllte er Liz an, die weiterhin im Dreck lag.
"Ihn retten. Ich brauche ihn, ohne ihn kann ich meinen Vater nicht sehen."
"Bist du noch ganz dicht? Er nimmt dich aus, er ist ein Haufen Dreck."
Er hörte den Spinnensinn klingeln, doch Peter reagierte nicht schnell genug und nun wurde er von der Faust des Dealers getroffen. Benommen wankte der Jugendliche zu Boden, fiel jedoch nur auf die Knie und konnte sich mit den Händen abstützen. Sein Gegner war bei dem Schlag selbst gefallen und schien keine Anstalten zu machen so bald aufzustehen. Doch Peters Priorität war Liz. Und das Bild, das sich ihm bot war mehr als erbärmlich. Liz kroch auf dem Boden herum und an den Stellen, an denen die Droge von der Erde aufgesaugt worden war, versuchte sie die letzten flüssigen Reste aufzusaugen.
"Dad, ich will dich bei mir haben. Dad, bitte." Doch sie bemerkte auch, dass es nicht wirkte, ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie begann bitterlich zu weinen. "Ich brauch dich. Bitte, Dad, verlass mich nicht!", schluchzte sie.
Peter eilte zu ihr und hob sie, obwohl sie sich so schwer wie möglich machte, wieder auf die Beine.
"Ich muss ihn sehen, bitte Petey, lass mich ihn sehen."
Als Peter in ihre gebrochenen Augen sah, wurde ihm bewusst, dass Liz ganz unten angekommen war. Die Drogen waren alles für sie. Ihre Herstellung oder zumindest ihre Verbreitung mussten unbedingt gestoppt werden. Doch in seiner Sorge um Liz hatte er den Dealer aus den Augen verloren. Und dieser stach ihm mit aller verbliebenen Kraft die letzte Spritze, die anderen waren bei den Stürzen zerbrochen, in Peter Hals und drückte die Flüssigkeit in seinen Körper. Peter wurde sofort schwindelig und die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Mit aufkommender Verzweiflung tastete er an seinem Hals entlang, bis er die Spritze zu fassen bekam und herauszog. Während der Dealer schwer verletzt das Weite suchte, hielt Peter sich die Spritze vor die Augen und konnte deshalb sehen, dass der Verbrecher ihm nur eine geringe Dosis gespritzt hatte, denn sie war noch zu drei Viertel voll. Der Schüler zertrümmerte sie auf dem Boden und fiel dann seitlich zu Boden. Für zwei Minuten lag er einfach nur da, stumm, ohne einen Muskel zu bewegen, dann, ganz plötzlich fiel die Schwäche von ihm ab und er konnte wieder ohne Probleme aufstehen. Zwar schwankte Peter ein wenig, doch er hatte einen relativ sicheren Stand. Die Welt um ihn herum war komplett schwarz geworden, Liz, die Mauer, die Autogeräusche, das Gestrüpp, alles war weg, als hätten sie nie existiert. Plötzlich trat eine Gestalt in sein Blickfeld, jemanden, den er nur allzu gut kannte. Er trug den braunen Pullover, den er von Tante May zu Weihnachten bekommen hatte und zu seinem Liebling geworden war. Sein Lächeln war verschmitzt, wie es schon immer gewesen war, seit Peter ihn kannte. Benjamin Parker stand leibhaftig und lebendig vor ihm.
"Onkel Ben", rief Peter aufgeregt und umarmte die Halluzination.
Sein Onkel tat das gleiche und in diesem Moment waren Worte überflüssig. Dann löste Peter sich.
"Sieh nur, zu was für einem guten Mann du geworden bist, Peter", sagte Onkel Ben lächelnd und dabei kamen ihm die Tränen. "Es tut mir Leid, dass ich deinen Abschlussball und deine Hochzeit, vielleicht auch sogar Hochzeiten, verpassen werde. Und Spider-Mans Heldentaten werde ich wohl auch nicht mehr mit dir genießen können."
Peter war sprachlos. In seinem Hinterkopf meldete sich zwar eine schwache Stimme, die ihn daran erinnerte, dass dies alles nicht real war, doch Peter ignorierte sie.
"Nein, Onkel Ben, du irrst dich. Das, was ich mit diesem Mann gerade getan habe, war sicherlich nicht das, was du von mir erwartet hast. Ich enttäusche dich unentwegt", erwiderte Peter und wandte den Blick ab.
"Du weißt, ich spüre so was und ich bin mir sicher, dass es nicht um diesen Verbrecher geht."
"Ich habe dich sterben lassen, verdammt nochmal, ich bin verdammt nochmal Schuld an allem, ich habe versagt", schluchzte Peter und Tränen liefen ihm dabei die Wangen herunter.
"Aber Peter, es war nicht deine Schuld. Es war niemandes Schuld, du hast alles richtig gemacht, du hast versucht mich zu retten. Wie immer warst du der Held", sprach Onkel Ben mit beruhigender Stimme auf Peter ein.
"Nein, nein, nein", entgegnete Peter mit schwacher Stimme, obwohl es genau das war, was er hören wollte. "Ich habe dich nicht gerettet, ich saß einfach nur da. Und den Mann habe ich umgebracht, ich habe den Verlust zweier Menschenleben zu verantworten."
"Du irrst dich und das weißt du auch. Carnage war ein Verbrecher, ein geisteskranker Serienmörder. Er hatte den Tod verdient. Du hast richtig gehandelt. Es gibt nichts, was du dir vorwerfen könntest." Peter sank in die Arme seines Onkels und konnte sein Aftershave riechen. Selbst etwas so unbedeutendes brachte den Schüler seinem verstorbenen Onkel näher. "Es wird alles wieder gut, Peter. Du bist jetzt in Sicherheit."
"Danke, Onkel Ben", flüsterte Peter, als noch im selben Moment seine Arme plötzlich nur Luft umschlungen und er rückhaltlos nach vorne fiel. Die Welt um ihn herum wurde wieder hell und einzelne Konturen und Umrisse wurden zu einer immer noch weinenden, ihren Kopf in den Händen vergrabenden Liz und einer der trostlosesten Umgebungen, die Peter je gesehen hatte. Die Autogeräusche drangen nervtötend wieder in sein Ohr. Sein Kiefer schmerzte ein wenig und er war ziemlich wackelig auf den Beinen, doch seine Augen strahlten überglücklich. Er half Liz auf die Beine und sie stützten sich gegenseitig. Onkel Ben hatte vor ihm gestanden, er hatte mit ihm geredet, ihn gesehen und wahrgenommen. All das, was er sich seit dem kalten Dezembertag gewünscht hatte, an dem ein Mann seine Welt mit einer Klinge zerrissen hatte. Und an einem Ort konnte er ihm fast genauso nahe sein. Er hatte ihn seit dem verschneiten Morgen der Beerdigung nicht mehr betreten, seine Schuldgefühle waren immer zu stark gewesen. Der Mörder besucht nicht das Grab des Ermordeten. Doch heute würde Peter die letzte Ruhestätte seines Onkels besuchen.
Harry Osborn betrat das Büro des im Sterben liegenden Otto Oktavius. Der Raum wirkte wie immer makellos sauber und zu Harry´s Leidwesen befand sich in ihm immer noch kein Mobiliar, da Otto dieses nicht brauchte. Dieser befahl über einen Gedankenbefehl seinen Armen sich umzudrehen, wodurch er seinen Blick auf Harry richten konnte, welcher aufgrund eines fehlenden Stuhls an der Wand lehnte.
"Hast du Neuigkeiten für mich?", fragte eine Roboterstimme.
"Allerdings", entgegnete Harry und lächelte arrogant. Das war fast schon ein Markenzeichen von ihm geworden. "Da du dein Büro bedauerlicher Weise kaum verlassen kannst, heul, heul, musste ich ja diese Drecksschule besuchen. Und tada, es hat tatsächlich etwas gebracht. Ich bin mir fast hundertprozentig sicher, dass Mary Jane Watson Parker´s Geheimnis kennt."
"Woran machst du diese Vermutung fest?", kam es monoton zurück.
"Man erkennt es an ihrem Verhalten. Ihre Art mit Peter umzugehen. Und ebenso wie er mit ihr umgeht. Wenn ich mit ihm rede, wirkt es immer so, als würde er jedes Wort bedenken, um sich nicht zu verraten und das tut er bei so ziemlich jedem auf der Schule, nur bei ihr nicht. Bei ihr wirkt er immer frei."
"Wegen eines derart wackligen Verdachts verschwendest du meine Zeit?"
"Das würde bedrohlicher klingen, wenn der Computer so etwas wie Zorn ausdrücken konnte. Aber so wirkt es eher niedlich..."
Ein Tentakel schoss blitzschnell auf Harry zu, umschlang seinen Hals und drückte ihm die Luft ab. Dabei hob er ihn hoch.
"Du wagst es mit mir in diesem Ton zu sprechen!"
Einen Gedanken später lockerte sich der Griff des Tentakels und Harry fiel unsanft mit dem Rücken voran auf den Boden. Er röchelte und japste nach Luft. Sofort erhob er sich jedoch wieder, um sich keine Blöße zu geben.
"Ich denke, wir sind hier fertig. Ich kann nicht mehr machen, als dir Informationen zu geben und diese hier stimmt", sagte Harry mit kontrollierter Stimme, doch es war offensichtlich, dass er sich schwer tat den Zorn zurückzuhalten.
Der zum Schülerdasein gezwungene Jugendliche wand sich bereits zum Gehen, als der Computer erneut in Ottos Namen sprach.
"Und seit wann interessierst du dich für Dates?"
Harry blieb wie erstarrt stehen. Woher wusste er von ihr? Doch er tat so, als hätte er nichts gehört und drückte die Türklinke herunter.
"Klingelt da nichts? Liz Allan, letzten Dienstag?"
"Wenn du Liz meinst, das hat sich erledigt, sie ist nicht aufgetaucht", antwortete Harry betont gleichgültig.
"Aber sie ist dir nicht egal. Also pass auf, dass sie dich nicht von deiner Arbeit abhält oder deine Entscheidungen beeinflusst. Denn ebenso schnell wie du der wurdest, der du jetzt bist, kann ich dir all das auch wieder nehmen."
"Das macht dir Spaß, oder?"
"Wissen war schon immer Macht und ich kontrolliere nun einmal fast alle Überwachungskameras der Stadt. Wie konntest du glauben, ich würde das nicht herausfinden. Ich kontrolliere sie eben so wie dich."
"Dieses Gespräch ist beendet", sagte Harry angepisst und knallte die Tür hinter sich zu, nachdem er das Büro wieder verlassen hatte. Wart es nur ab, dachte er, ich werde über dich triumphieren.
Schweigsam stand Peter vor dem Grab seines Onkels. Ein einfacher Grabstein war alles, was von seinem Onkel geblieben war. Auf der bepflanzten Fläche über seinem Sarg stand ein großer Strauß Blumen und eine bereits erloschene Kerze. Er war sofort zum Friedhof geschwungen, nachdem er Liz nach Hause gebracht hatte. Das Kostüm lag selbstverständlich immer noch zu Hause, seine Netzdüsen hatte er von seinen Handgelenken abgestreift und in den Taschen seiner blauen Jacke verstaut. Aber so sehr er sich auch beeilt hatte, er war viel zu spät dran. Seine Tante war fast jeden Tag hier gewesen, seit er verstorben war. Und er hatte sich aus Angst gedrückt, Angst davor, dass ihm dieser Ort noch mehr Fehler aufzeigt, als er sich ohnehin schon vorwarf.
"Hallo, Onkel Ben", begann er mit leiser Stimme. "Ich... wir, Tante May und ich, wir vermissen dich an jedem Tag. Du fehlst uns so sehr, dass man es nicht in Worte fassen kann." Er stockte, weil sich seine Augen mit Tränen füllten. "Doch du lebst in mir weiter. Du hast mich zu dem gemacht, der ich bin und genau deshalb konnte ich so lange nicht vor dein Grab treten. Ich trete es mit Füßen, alles was du mir beigebracht hast. Mein Herz wird verzehrt von Zorn und den habe ich nur selten unter Kontrolle. Ich lasse ihn all diejenigen spüren, die es verdient haben, aber auch die, die mir am Herzen liegen. Du hast gesagt, dass mit großer Macht große Verantwortung käme, doch das ist leichter gesagt als getan, weißt du? Nicht, dass du Unrecht hast, aber... es ist so schwierig." Als ihm eine Erinnerung in den Sinn kam, zauberte dies ein kleines Lächeln auf Peter's Gesicht. "Wir hatten schon einmal eine ähnliche Konversation. Deine Antwort war, dass das Leben nicht lebenswert wäre, wenn es einfach wäre. Es wäre langweilig, wenn einem alles in den Schoss fallen würde. Und, dass das Leben nicht mehr verlangt als wir schaffen können. Aber ich bin nicht wie du. Du musst mich leiten, mir mit Rat und Tat beiseite stehen, wie früher eben." Peters Blick wurde entschlossen, er hatte sich lange genug überlegt, ob dieser Entschluss wirklich im Sinne seines Onkels war. Die Antwort war, dass er keine Antwort hatte. Er wusste es nicht, doch auch wenn es egoistisch war, Ben war für Peter und seine Tante wichtig. Er ballte seine Hände zu Fäusten und drückte sie so fest zusammen, dass die Knochen weiß wurden. "Ich verspreche es dir, Onkel Ben, ich werde dich nicht aufgeben. Und wenn es mich alles kostet, sogar mein Leben, ich werde dich retten. Was auch notwendig ist, ich werde meine Schuld begleichen und dich wieder in meine Arme schließen."
Von der Seite hörte er die Schritte einer anderen Person, die näher kamen. Der Kies, den man zum Bilden des Weges genutzt hatte, unterbrach die friedliche Stille des Friedhofs deutlich. Sein Spinnensinn blieb vollkommen ruhig. Ich werde schon paranoid, dachte Peter.
"Um das zu schaffen, müsstest du schon Spider-Man sein", erklang da eine weibliche Stimme neben ihm.
Peter schaute verwirrt in die Richtung aus der sie kam und sah eine hübsche Jugendliche ungefähr in seinem Alter. Im Moment trug Felicia Hardy zwar weder Lederklamotten noch Maske, dennoch machten sie normale Klamotten nicht unattraktiver. Als sie merkte, dass Peter nicht reagierte, sagte sie schnell: "War nur ein Witz. Ich bin Felicia Hardy."
"Peter Parker und ich lache innerlich", entgegnete der Schüler kühl und ignorierte die Hand, die die Blondine zur Begrüßung hingehalten hatte.
"Es tut mir Leid, ich wollte nicht unangemessen sein. Aber ich habe das Grab meiner Mutter besucht und zufällig dein Gespräch mitangehört. Ich komme oft hierher, um nachzudenken und mir über das Chaos in meinem Leben klar zu werden."
"Du hast gelauscht", fiel Peter ihr ins Wort.
"Vielleicht ein kleines bisschen, aber ich denke, ich kenne dich besser, als du glaubst. Wir sind beide verlorene Seelen, nicht wahr?", fragte sie und nun sah Peter es in ihrem Blick. Er sah in ihre Augen und sah das, was der Spiegel ihm jeden Morgen zeigte. Schmerz und Verlust.
"Über dich kann ich nicht urteilen und mein Onkel geht dich gar nichts an", antwortete Peter abweisend.
"Bei dem, was du gesagt hast, war es nicht schwer, das zu beurteilen. Und ich verstehe deine Situation. Das tue ich wirklich. Ich war wie du und habe niemanden in dieser Zeit gehabt, ich war allein und hilflos. Es war grauenhaft. Und die Narben sind immer noch nicht verheilt."
"Das haben Narben so an sich", sagte Peter und wandte sich ab. Er wollte nicht unhöflich erscheinen, aber das war schon die zweite Person, die ihm helfen wollte, obwohl er sie nicht kannte. Mit Liz hatte er nie mehr als ein paar Sätze gewechselt und diese bezogen sich nur auf das Desaster bei ihrer Party. Und seine Mitschülerin hatte ihn zu einem Dealer geführt.
"Das Royal Café, am Nachmittag."
"Du bist eine Wildfremde für mich, ich lehne dankend ab."
"Ich kenne den Panzer, den man um sich aufbaut, um sich davor zu schützen noch mehr verletzt zu werden und noch mehr Leid zu erfahren oder sich selbst eingestehen zu müssen, dass man schwach und verloren ist. Komm zu dem Café, wenn du willst, ich werde dort sein. Du kannst dich allerdings auch weiter verkriechen und den Problemen davonlaufen. Sagen wir gegen vier?"
"Aber ich..."
"Gegen vier also. Sei bloß nicht zu spät", sagte die Blondine und ließ einen überrumpelten Peter zurück. Der Schüler musste unwillkürlich lächeln. Eigentlich kannte er sie nicht, aber ihm gefiel ihre symphatische und offene Art, er mochte sie. Der Panzer, als sie davon erzählt hatte, hatte es ihn wie einen Schlag getroffen. Das hatte ihn davon überzeugt, dass sie ganz genau wusste, was er durchmachte. Sie hatte das gleiche erlebt wie er, das konnte Liz nicht verstehen und mit Drogen schon gar nicht beseitigt werden. Es war nicht ihre Schuld, aber das konnte man erst, wenn man wirklich jemanden an den Tod verloren. Und Unrecht hatte Felicia auch nicht. Er stellte sich nicht seinen Problemen, sondern versteckte sich vor ihnen. Auch wenn er es nicht wollte, Peter merkte, wie sich alle, die er gerne hatte, von ihm distanzierten, weil er sich von ihnen abschottete. So konnte das nicht weitergehen, ein Leben nur um der Existenz Willen hätte sein Onkel nicht gewollt. Er wandte sich wieder Benjamin Parker´s Grab zu. "Ich werde nie vergessen, was ich dir versprochen habe und ich werde es wahr machen lassen. Selbst wenn ich dafür einen Pakt mit dem Teufel schließen muss. Ich werde dich bald wieder besuchen kommen, Onkel Ben. Mach es gut und... ich hab dich lieb."
Um kurz vor vier machte sich der Schüler mit dem Doppelleben als Spider-Man auf den Weg zum Royal Café. Erst als er die Tür des Hauses schloss und sich in Richtung Bürgersteig bewegte, fiel ihm der "Witz" im Namen des neu eröffneten Café´s auf. Royal war an den Namen des Stadtteils, in dem es sich befand, angelehnt, nämlich an Queens. Von ihm aus waren es maximal 15 Minuten, also würde er vielleicht ein wenig zu spät sein, aber wenn er sein T-Shirt und die Hose nicht beim unbedachten Trinken von Wasser vollkommen durchnässt hätte, wäre er pünktlich gewesen, aber was sollte man auch vom Parker Pech anderes erwarten? Sein in aller Hektik gewechseltes Outfit war genauso schlicht wie das erste. Auf eine Jeans folgte ein graues T-Shirt und darüber hatte er sich seine blaue Jacke gezogen. Doch seine nach Wochen wieder einigermaßen gute Laune wurde getrübt, als er sah, dass Mary Jane ihr Haus ebenfalls verließ und sich auf den Weg in seine Richtung machte. Sie mussten sich also auf halber Strecke treffen, aber er hatte keine Lust sich wieder eine Standardfloskel wie "Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag Bescheid" oder "Du kannst immer mit mir reden" anhören zu müssen. Mary Jane hatte ihn aber natürlich bereits gesehen, weshalb es zwecklos war die Straßenseite zu wechseln. Sie kam auf ihn zu und begrüßte ihn beiläufig, sodass Peter dachte, er könnte sie leicht abwimmeln. Aber da irrte er sich. Als sie vor ihm stand, sah er bereits das angriffslustige Funkeln in ihren Augen.
"Das ist ein Zufall, ich wollte dich auch gerade besuchen."
"Ich wollte dich gar nicht besuchen."
"Nein? Auf jeden Fall wollte ich zu dir, um meinen Freund zu sprechen, der aber leider vergessen zu haben scheint, dass wir Freunde sind."
"Ich weiß nicht, was du..."
"Wieso musste ich erst von Tante Anna erfahren, wie es dir geht? Du hättest dich zumindest mal bei mir melden können, oder bin ich dir dafür nicht gut genug?"
"Ich kann verstehen, dass du sauer bist, MJ, aber ich muss jetzt weg. Wir klären das wann anders, okay?"
"So leicht kommst du mir nicht davon, Mr. Parker", sagte MJ mit ruhiger Stimme, doch ihr Unterton versicherte Peter, dass sie ganz und gar nicht ruhig war. "Nach Tagen, in denen du es nicht für nötig hielst mit mir zu sprechen, triffst du mich hier und willst mich abwimmeln? Das sieht dir gar nicht ähnlich. Wie gehts es dir?"
"Das war ein nettes Gespräch, aber ich muss jetzt wirklich los. Felicia wartet bestimmt schon auf mich", sagte Peter mit wachsender Ungeduld, die seine schlechte Laune wieder befeuerte sich durchzusetzen.
"Ein Mädchen also? Du ziehst ein Date mir vor?", fragte sie eifersüchtig.
"Es ist nicht so, wie du denkst, sie hilft mir nur."
"Da bin ich mir sicher. Nach einem Kuss ist deine Trauer wie weggeblasen, oder? Und Spider-Man scheinst du dabei auch komplett vergessen zu haben. Seit dem Tod deines Onkels ist er nicht mehr gesehen worden. Wo ist er?"
Jetzt hatte MJ einen wunden Punkt getroffen und ließ Peter innerlich kochen. "Du weißt gar nichts über mich, aber urteilst als würdest du mich in und auswendig kennen. Du unterstellst mir meinen Onkel zu vergessen, den Einzigen, der mich wirklich verstanden hat, ist es nicht so?", brüllte Peter. "Du gehörst mit deinen blöden Fragen zu dem Haufen Leute, die immer nur fragen und fragen, aber niemals helfen. Ich brauche keinen Fragebogen, sondern einen Weg aus diesem Tunnel ´raus."
"Peter, ich wollte nicht..."
"Wie gehts es dir, Peter?", äffte er die Rothaarige nach. "Ich kann es dir sagen, wenn du das so gerne wissen willst. Zwei der wichtigsten Menschen in meinem Leben sind meinetwegen tot! Tot und ich bin schuld, verstehst du? Nein, wie könntest du auch. Du wahrst nur den Anschein als würde ich dir am Herzen liegen. Meine Wut hat mein Zimmer in einen einzelnen Trümmerhaufen verwandelt, meiner Tante kann ich nicht einmal mehr in die Augen sehen und in meinen Albträumen erlebe ich seinen Tod immer und immer wieder. Es verfolgt und quält mich. Ich hasse mich selbst, für das was ich getan habe."
Bei den letzten Worten war Peter wieder ganz ruhig geworden. Mary Jane´s Gesicht spiegelte wieder, dass sie das nicht gewusst hatte und es überraschend für sie gekommen war. Sie sah auch ein, dass sie sich falsch verhalten hatte.
"Ich...Peter, das tut mir Leid. Ich wusste das nicht, ich meinte es nicht so. Ich war nur so wütend, weil du mich ins Abseits geschoben hast, aber das hätte ich nicht sagen sollen. Ich weiß, wie viel dir dein Onkel bedeutet hat, aber", entgegnete sie mit sanfter Stimme und schaute ihm dabei tief in die Augen, "in einer Sache liegst du falsch. Ich würde dir immer helfen, doch du bist blind für deine Umwelt und lässt dir nicht helfen."
"Verzichte", presste Peter unter zusammengebissenen Zähnen hervor und ging an Mary Jane vorbei. Eine tolle Freundin hatte er da, dachte der ehemalige Held, während er seinen Schritt verägert beschleunigte, um nicht komplett zu spät zu Felicia zu kommen. Was er jedoch nicht sah, war der verletzte Gesichtsausdruck in MJ`s Gesicht. Während er die Straße, in der er wohnte entlanglief, verflog seine Wut. Das alles hatte schon lange in ihm gebrodelt und Mary Jane hatte es jetzt abbekommen. Es war gut, all das mal laut auszusprechen, doch absolut nicht fair ihr gegenüber. Er hatte sich wie der egoistischste Arsch der Welt aufgeführt. Doch er wollte nicht umdrehen, um es nicht noch schlimmer zu machen, aber eine Entschuldigung war er ihr auf jeden Fall schuldig. Wieder jemanden, den er vor den Kopf gestoßen hatte. Peter tat das nicht mit Absicht, es war schließlich nicht so, dass er ihre Hilfe nicht zu würdigen wüsste, aber er war nie ein derart offener Mensch gewesen. Für Peter waren Probleme nie so schwer, dass er sie nicht mit sich ausmachen konnte. Und dennoch traf er sich mit Felicia. Warum mit ihr und nicht mit Mary Jane? Weil sie es verstand, wie es niemand sonst verstehen könnte.
Das "Royal", was man unschwer an den großen Lettern über der Eingangstür, die sich zwischen zwei Glasfronten befand, durch die so viel Sonnenlicht drang, dass eine Beleuchtung im Inneren tagsüber nicht nötig war, ablesen konnte, erreichte Peter nach gut 10 Minuten. Als er hereintrat, konnte er zuallerst eine kreisrunde Bar an der rechten Wand erkennen, an denen Hocker in rotem Leder standen. Um die Bar hatte man links, rechts und an der gegenüberliegenden Seite, die ebenfalls eine Glasfront war, Tische aufgestellt und um diese Bänke mit rotem Lederüberzug und hohen Rückenflächen. Peter war angenehm überrascht. Seine Augen suchten den Raum nach einer Blondine ab, bis Felicia ihm die Arbeit ersparte und aus der hintersten Ecke winkte. Lächelnd kam er herüber und hielt ihr zur Begrüßung die Hand hin.
"Soll ich deine Hand jetzt auch ausschlagen, damit wir quitt sind?", fragte Felicia mit einem Grinsen.
"Das habe ich wohl verdient", sagte Peter und setzte sich der Blondine gegenüber. Sie trug ein schwarzes, schulterloses T-Shirt, bei dem sie die langen Ärmel hochgekrempelt hatte und eine Jeans.
"Es freut mich, dass du dich doch entschieden hast zu kommen. Was hat deine 180-Grad-Drehung ausgelöst?", erkundigte die Diebin sich.
"Das, was du gesagt hast. Du hattest vollkommen Recht und wenn jemand mir helfen kann, warum sollte ich eine derartige Chance verpassen?"
Im nächsten Moment kam ein Kellner, gekleidet in ein weißes Hemd und eine schwarze Hose, an ihren Tisch herangetreten.
"Wie ich sehe ist ihre Begleitung eingetroffen, wisst ihr schon was ihr wollt?", erkundigte er sich mit einem künstlich wirkenden Lächeln und gab den Blick auf die Getränke frei, die über dem Tresen aufgelistet waren, indem er einen Schritt zur Seite trat. Peter bestellte einen schwarzen Kaffee und Felicia einen Latte Macchiato und innerhalb weniger Minuten standen ihre Heißgetränke auf dem Tisch.
"Also Felicia, erzähl mir mal mehr von dir, es sei denn es gibt nicht mehr als belauscht gerne andere und hilft Fremden."
"Zu meiner Verteidigung, du hast relativ laut gesprochen. Also: Ich würde nicht sagen, dass meine Familie der Norm entspricht. Mein Vater war selbstständig", als Meisterdieb, fügte Felicia im Kopf hinzu, "und meine Mutter Hausfrau."
"Klingt sehr normal", unterbrach Peter sie.
"Ja, war es auch anfangs, bis ich ungefähr fünf Jahre alt war. Mein Vater hatte sich mit den falschen Leuten angelegt", ihnen Sachen gestohlen, die unersetzbar waren, "und sie wollten sich dafür rächen. Durch Kontakte fanden sie einen Assistenten meines Vaters", eher seinen Komplize, "und nach einer langen Folter sagte er ihnen, wo wir lebten. Es war grauenhaft, sie zeigten keine Gnade. Das Einzige, was ich sah war, wie sie die Tür auftraten und sofort ihre Waffen sprechen ließen. Ihre Maschinengewehre durchlöcherten die gesamte Wohnung und auch meine Mutter, die gerade das Abendessen vorbereitete. Zwar hatte ich mich versteckt, doch ich fühlte mich, als sei ich ebenfalls gestorben. Es war so fürchterlich." Felicia hielt kurz inne.
"Wenn die Erinnerungen zu schmerzhaft sind, ist das nicht schlimm", sagte Peter.
"Wie soll ich von dir erwarten, dass du dich öffnest, wenn ich das selbst nicht tue?", erwiderte die Blondine. "Kurz danach verschwand mein Vater und ich kam ins Jugendheim. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört, er könnte tot sein. Die Leuten, die hinter ihm her waren, verstanden ihr Handwerk, aber ich glaube, er ist noch da draußen. Das Heim war wie die Hölle, doch vor ein paar Jahren wurde ich dann adoptiert und ja, das ist die Geschichte von Felicia Hardy."
"Und wo wohnst du jetzt?"
"In Manhattan, relativ zentral, im "NY"."
Das kannte Peter von einem seiner alten Fälle als Spider-Man. Jameson hatte dort gewohnt, bevor er sich mit seinem Werwolf-Alter Ego im Gefängnis hat einrichten müssen. "Das ist ziemlich teuer. Wie könnt ihr euch sowas leisten?"
"Lange Geschichte", sagte Felicia und nahm einen großen Schluck ihres Kaffee´s. "Aber die interessantere Frage ist: Wer ist Peter Parker?"
"Was hättest du gemacht, wenn ich ein psychopathischer Axtmörder wäre?"
"Ich schätze, ich würde dich auf der Stelle K.O. schlagen und gehen."
"Und mich mit der Rechnung hier lassen?", fragte Peter gespielt erbost. Beide mussten lachen. "Viel gibt es über mich nicht zu wissen. Ein ganz normaler Schüler, der bei seiner Tante und seinem Onkel wohnt. Und ich denke, wenn ich nicht so ein Glück gehabt hätte, wäre ich nach dem Tod meiner Eltern wahrscheinlich auch im Heim gelandet. Wie man deinem Ton anmerken konnte, war das nicht zwingend ein Ort, wo man gerne sein Leben verbringt. Was noch? Ich habe einen guten Freund, Harry Osborn, vielleicht schon mal gehört und eine gute Freundin. Klingt gar nicht so übel, oder? Bis auf die Tatsache, dass der Tod mir zu folgen scheint. Mein bester Freund starb bei einer Explosion, meine beste Freundin wurde ermordet und mein Onkel ebenso."
"Aber diese Tode verfolgen dich nicht mehr, warum also der deines Onkels?", hakte Felicia nach.
"Weil bei all den Tragödien in meinem Leben immer mein Onkel da war, um mich wieder aufzubauen und mir half, mein Leben weiterzuleben. Er war die Stütze, auf die ich mich immer verlassen konnte. Aber jetzt ist er weg und ich ganz allein."
"Nicht ganz allein, du hast doch zwei Freunde und deine Tante."
"Das ist was anderes."
"Und mit ihnen kannst du nicht offen reden?"
"Nein", erwiderte Peter in nachdenklichem Ton. "Ich kann meiner Tante nicht einmal in die Augen sehen. Wie kann ich dann erwarten, dass sie mir hilft?"
"Das ist der Punkt, den du übersiehst. Du trägst die ganze Last auf dir, ausgelöst durch die Schuld, die du glaubst auf dich geladen zu haben und machst dich selbst fertig. Aber wenn du deine Last mit anderen teilst, wird es dir viel besser gehen."
"Nein, Felicia, da irrst du. Wenn du die genauen Hintergründe kennen würdest, würdest du anders reden. Ich habe den Tod meines Onkels zu verantworten! Wie soll ich das jemandem sagen, vor allem meiner Tante?"
"Du hast Recht, ich kenne die genauen Hintergründe nicht, aber das muss ich nicht. Ich hatte die anderen Heimkinder, die weitesgehend das gleiche erlebt hatten, aber wenn du mit niemandem redest, verzehrt dich das von innen."
"Ich kann das nicht tun."
"Du kannst also deiner Tante nicht sagen, dass du Schuld am Tod deines Onkels bist, aber wieso sollte es deine Schuld sein? Hast du ihn getötet?"
"Nein, natürlich nicht."
"Also wie kannst du dir die Schuld dafür geben? Es lag nicht in deiner Macht."
"Doch, wenn ich schneller gewesen wäre und gehandelt hätte, dann wäre er noch am Leben. Ich hätte ihn retten können und... und ich habe versagt."
"Peter, du bist nicht Gott, du bist nicht der Herr über Leben und Tod."
Das war das gleiche, was Onkel Ben zu ihm gesagt hatte, nachdem Gwen gestorben war. Auch damals hatte Peter sich die Schuld gegeben.
"Ich habe sie sterben lassen", hatte er protestiert.
"Peter, du bist nicht Gott, du kannst nicht jeden retten. Aber in jedem Menschen, den du rettest, kannst du Gwen sehen, sie ist der Traum, den ihr beide hattet", hatte sein Onkel geantwortet.
Und auf einmal machte es klick bei Peter. Er erkannte wie simpel die Wahrheit war. Seine Schuld hatte so schwer auf seinen Schultern gelegen, dass er sich nicht hatte besser fühlen wollen, er wollte sich selbst für sein Versagen bestrafen. Anstatt sich und seine Umgebung jedoch weiterhin unglücklich zu machen, konnte er an einer Zukunft arbeiten und sich nicht weiter von der Vergangenheit quälen zu lassen. Der Schüler hatte sich selbst bemitleidet. Er konnte es besser machen und Ben und Gwen´s Vertrauen gerecht werden. Sie beiden waren fest davon überzeugt gewesen, dass er ein Held war, ein Symbol für Gerechtigkeit und Sicherheit. Doch Peter hatte das Kostüm im Schrank verrotten lassen. Er war Spider-Man und er musste es sein, um ihren Tod zu würdigen. Er musste verhindern, dass noch mehr Familien ihre Angehörigen verlieren. Felicia und Liz hatten versucht ihm zu helfen, aber er war in der Lage viel mehr Menschen zu helfen, ihnen Leid zu ersparen.
Felicia lächelte, als sie den Ausdruck auf Peters Gesicht sah. "Du hast es verstanden."
"Woher weißt du das? "
"Ich kenne den Gesichtsausdruck, jahrelang habe ich gedacht, dass ich meiner Mutter hätte helfen können, doch ich lag falsch. Ich war ein kleines Kind, ich wäre wie meine Mutter gestorben und das hätte sie nicht gewollt. Es ist befreiend den Schleier aus Trauer, Wut und Schuld zu durchdringen, oder?"
"Ja, es ist, als würde alles von mir abfallen. Woher weißt du das alles?", fragte Peter mit einem ungläubigen Blick. "Harry hat mich vor einem Psychodoc gewarnt."
Felicia lachte. "Das bin ich gewiss nicht. Ich sagte es dir bereits auf dem Friedhof, wir sind beide verlorene Seelen. Ich habe all das, was du durchgemacht hast, schon überstanden."
"Ich danke dir vielmals", er nahm einen Schluck seines Kaffee´s. "Und mein Kaffee ist kalt. Grandios."
"Du warst ziemlich lange in Gedanken versunken", sagte Felicia.
"Ich mein´s wirklich ernst, Felicia. Ich schulde dir was. Es war schön mit dir zu sprechen, du bist die Erste, die mich nicht in Watte packt. Danke, es war befreiend."
"Das habe ich doch gerne gemacht und du...", begann Felicia als sie von dem Klingelton ihres Handy´s unterbrochen wurde. Auf dem Display leuchtete eine Nummer auf, die die Meisterdiebin noch nie zuvor gesehen hatte. Sie drehte ihren Kopf zur Seite, strich sich ihre Haare hinters Ohr und nahm ab.
"Hallo?"
"Mein Name ist Chamäleon", entgegnete eine dunkle Stimme am anderen Ende.
"Woher haben Sie diese Nummer?", fragte sie mit selbstsicherer Stimme.
"Mein Boss ist mächtiger, als Sie es sich überhaupt erträumen lassen könnten. Eine Handynummer zu bekommen ist da kein Kunststück."
"Ich habe ihre Kette."
"Gut, sehr gut. Und wir haben das Geld. In einer Stunde an den Docks und keine Sekunde später."
Im nächsten Moment ertönte bereits das Signal dafür, dass ihr Gesprächspartner aufgelegt hatte. Peter hatte in der Zeit mit leicht verzogener Miene seinen Kaffee ausgetrunken. Felicia packte ihren Mantel, der rechts von ihr lag und stand auf.
"Ist etwas passiert?", fragte Peter.
"Nein, alles in Ordnung. Ich habe nur einen wichtigen Termin vergessen", sagte sie und zog sich den Mantel an. Dann griff sie sich aus diesem einen Stift und notierte auf der Peter´s Serviette ihre Nummer. "Um in Kontakt zu bleiben. Noch einen schönen Abend, Peter."
Sie zwinkerte ihm zu und verließ das Kaffee eiligen Schrittes. "Wünsche ich dir auch, Felicia. Es war mir eine Freude." Und das war ihm ernst gemeint. Sie hatte ihm die Augen geöffnet und dafür würde er ihr ewig dankbar sein. Peter faltete die Serviette und verstaute sie in seiner Jackentasche, während er auf den Kellner wartete. Als dieser kam, bezahlte er die zwei Getränke und verließ mit neuer Zuversicht das Café. Es war jetzt alles so klar. Spider-Man war das Vermächtnis, das Gwen und Onkel Ben ihm hinterlassen hatte. Er zu sein, war das, was sie gewollt hätten. Die Zeit des Verkriechens war vorbei. Es war Zeit das Kostüm wieder aus dem Schrank zu holen! Spider-Man war wieder da!
"Eine Stunde. Keine Sekunde zu spät", begrüßte Black Cat einen großen Mann Mitte 30 mit etwas längeren Haaren und Drei-Tage-Bart.
"Mein Boss wird deine Pünktlichkeit mit Sicherheit zu schätzen wissen", entgegnete der Mann mit einer dunklen, rauen Stimme. Sein blauer Anzug, unter dem er ein weißes Hemd trug, wirkte sehr teuer und passte in seiner vornehmen Weise nicht zu dem eher ungepflegten Gesicht.
Felicia hatte sich wieder in ihre schwarzen Lederklamotten inklusive Maske gehüllt und trug ihren Rucksack auf den Schultern. Der Mann, den sie als Chamäleon kannte, hielt in der rechten Hand einen großen, grauen Koffer. Das Meer umspielte mit seichten Wellen die Docks und die Sonne ließ die Wasserperlen glitzern. Chamäleon stand im Schatten eines Lagerhauses. Weit und breit war niemand zu sehen. Kein schlechter Ort für einen Austausch von geraubter Ware.
"Wieso nennst du dich Chamäleon?", fragte die Blondine. Obwohl sie die Antwort auf diese Frage in keinster Weise interessierte, wollte sie durch sie zeigen, dass sie kein verängstigtes Mädchen war, sondern jemand, dem man auf Augenhöhe begegnen musste, jemand, der sich nicht versteckte.
"Das ist ganz einfach", antwortete Chamäleon und verwandelte sich in einen blonden Schönling mit nach hinten gegeelten Haaren. Dann wurde sein Gesicht weiß, komplett konturlos, ohne Nase, Mund oder Augen und war im nächsten Moment wieder das ungepflegte vom Anfang. "Weil ich anpassungsfähig wie ein Chamäleon bin."
Felicia öffnete den Reißverschluss des Rucksacks und nahm mit ihren behandschuhten Händen die in ein Tuch gehüllte Kette heraus. Felicia wollte sie aus dem Tuch wickeln, doch mit den Handschuhen bekam sie den dünnen Stoff nicht zu fassen. Nachdem sie den linken Handschuhe ausgezogen hatte, war das kein Problem mehr und sie nahm die Kette mit der linken Hand vorsichtig heraus und hielt sie Chamäleon hin. Dieser hielt seinerseits seinen Koffer hin.
"100.000 Dollar. Wie abgemacht."
"Ich weiß immer noch nicht, wieso man so viel Geld für so einen Mist ausgeben sollte", sagte Felicia, als der farblose Kristall in der Mitte der Kette plötzlich anfing hell aufzuleuchten. Das weiße Licht erleuchtete den Bereich zwischen fünf Lagerhäusern und Felicia schloss ebenso wie Chamäleon, der Handlanger des mysteriösen AT, geblendet die Augen. Als es langsam abklang und Chamäleon seine Augen wieder öffnete, lag die Kette an Felicias Hals. Und auch sie hatte sich verändert. An ihren Fingern saßen statt Fingernägel nun spitze Krallen, die ihren rechten Handschuh durchbohrt hatten und ihre Augen waren wie die einer Katze. Gelb, mit schmalen Schlitzen als Pupillen. Bevor der Verbrecher reagieren konnte, machte die animalische Jugendliche einen großen Satz auf ihn zu und sprang ihn an. Überrascht verlor er das Gleichgewicht und fiel nach hinten. Felicia hob ihre Krallen, ihre Enden blitzten im Licht der Sonne auf. Dann zog sie die der linken Hand schnell und unbarmherzig durch sein Gesicht. Chamäleon schrie unter den Schmerzen auf. Die Krallen waren tief in seine Haut eingedrungen und das Blut floss ihm bereits das Gesicht herunter. Felicia runzelte verwirrt die Stirn und ihre Augen wechselten jetzt zwischen menschlich und tierisch. Sie fasste sich an den Kopf und fiel seitwärts von Chamäleon. Die Diebin wälzte sich dem Boden und stieß immer wieder schmerzerfüllte Schreie aus, als würden zwei Geister in ihr kämpfen. Schlussendlich wurden ihre Augen wieder vollständig gelb und sie richtete sich wieder auf.
"Miau", schnurrte sie und sprang mit einem Riesensatz auf das Lagerhaus hinter ihr. Während Chamäleon sich langsam aufrichtete, verschwand sie über die Dächer. Mit einem Ächzen griff er in die Innentasche seiner Jacke und holte ein Handy hervor. Der Schmerz würde nachlassen und dank seiner schnellen Selbstheilung sollte bald fast nichts mehr zu sehen sein. Die Priorität galt aber nicht seiner Verletzung, sondern seinem Auftrag. Er wählte eine Nummer und wartete, bis am anderen Ende eine kränklich wirkende Stimme antwortete.
"Mr. T? Hier spricht Chamäleon. Es gibt eine kleine Planänderung. Die Diebin ist die Auserwählte. Der zweite Kristall wurde entfesselt."
"Das erspart uns die Arbeit nach einem geeigneten Menschen zu suchen", erwiderte die Stimme und fing dabei an zu husten.
"Das weiß ich. Soll ich eingreifen?"
"Nein, du Narr. Warte, bis der Träger der Spinne die im Kristall wohnende Bestie besiegt hat und bring mir den Kristall anschließend. Erst wenn einer der Fünf sie besiegt, ist der Kristall von Nutzen für mich. Nicht umsonst wurde er mit einem Wächter geschützt. Die Fünf wurden auserwählt, nur sie sollten die größte Macht des Universums nutzen können."
"Ich habe verstanden", bestätigte Dmitri Kravinoff und beendete das Gespräch. Sollte Spider-Man sich mit der Black Cat herumschlagen, Chamäleon würde nur die Früchte seiner Arbeit ernten oder seinen Leichnam einsammeln.
Eigentlich war es ein Tag wie jeder andere für John Marshall. Tag ein, Tag aus stand er am Schalter der "Manhattan Bank", nahm Beschwerden entgegen, löste Schecks ein und beriet Kunden. Verstohlen schaute er auf die große Uhr, die über dem Eingang hing. Halb sechs, also noch eine halbe Stunde, dann hatte er sich für heute genug die Beine in den Bauch gestanden. Zuhause erwartete ihn bereits ein bequemes Sofa, Junkfood und die neuste Staffel von "Power Rangers Dino Legacy". Die Serie war längst nicht mehr für Kinder und doch wurde er meist verspottet, wenn er davon berichtete. Aber er würde weiterhin ein Fan bleiben. Seine Pläne sollten sich im nächsten Moment drastisch ändern. Um 17.33 Uhr trat ein Mann in die Bank, zuerst konnte John nichts außer einer schwarzen, breit gebauten Person sehen, da er die Sonne im Rücken hatte, doch als er in die Bank kam, überlief es John eiskalt. In seiner linken Hand erblickte er eine Maschinenpistole, sein Gesicht war von einer einfacher Skihaube bedeckt. Er richtete den Lauf der Waffe in Richtung Decke und feuerte drei Mal. Der ohrenbetäubende Knall verschreckte alle in der Bank anwesenden Kunden. Sofort warfen sich die meisten ohne Aufforderung auf den Boden und schrien sich die Seele aus dem Leib vor Angst. Der Räuber schoss noch ein viertes Mal.
"Schnauze, das gilt für euch alle! Und auf den Boden!"
John hatte nicht viel in seinem Leben erreicht auf das er stolz sein konnte. Und genau deshalb wollte er das heute ändern. Jetzt konnte er der Held sein. Langsam wanderte sein rechter Zeigefinger unter den Tresen und drückte den Knopf, der die Polizei alarmierte. Doch in genau diesem Moment wandte der Räuber seinen Blick herum und starrte mit seinen Augen direkt in Johns. Das war´s, dachte John. Er sah, wie der Verbrecher den Lauf der Maschinenpistole auf seinen Körper richtete. Ein Schuss zerriss die Scheibe vor John, verfehlte ihn jedoch und während die Kugel wirkungslos in der Wand einschlug, zuckte seine Kollegin neben ihm verängstigt zusammen und warf sich kreischend auf den Boden. Der Verbrecher, in dunkle Klamotten gekleidet, ging auf Johns Schalter zu und hielt ihm den Lauf, was nur wegen der fehlenden Scheibe möglich war, direkt zwischen die Augen.
"Keine Sorge", sagte der vermummte Mann mit einer Stimme, als würde er sich nach den Lottozahlen erkundigen. "Sie dürfen leben, so lange Sie alles Geld in Säcke füllen und mir übergeben. Und zwar schnell!"
Dann drehte er sich wieder zu den anderen Mitarbeitern und Kunden. Ihre Blicke spiegelten blanke Panik und Angst wieder. "Ihr seid jetzt meine Geiseln und sollte einer auch nur daran denken den Helden zu spielen, wird es hier sehr ungemütlich."
Fünf Meter vor ihm saß ein kleines Mädchen mit blonden Locken, von ihrer Mutter eng umschlungen. Fies grinsend ging er auf es zu, während John hektisch die Beutel, die der Verbrecher ihm gegeben hatte, mit dem Geld aus dem Tresor füllte und betrachtete höhnisch die Plüschfigur in ihrer Hand, die sie fest umkrallte. Sie stellte Spider-Man mit übergroßem Kopf dar und brachte den Verbrecher fast zum Lachen. Dieser Mann hatte die Bürger in Sicherheit gewiegt, doch eines Tages ist er verschwunden und die kalte Realität hatte zurückgeschlagen. Wie Weihnachten für Gangster und Räuber.
"Ich will dir deinen Glauben nicht kaputt machen, Kleine, aber dein Held wird heute nicht auftauchen. Genau wie er in den letzten Wochen nicht aufgetaucht ist. Er hat diese Stadt im Stich gelassen und jetzt schlägt die Stunde der Kriminellen!"
Gleichzeitig kam Peter nach Hause und fand May, wie jeden Tag um diese Uhrzeit, vor dem Fernseher vor, da ihre Lieblingssoap lief. Der größte Schund, den Peter jemals gesehen hatte. Jede Folge neue Paare, Affären und Intrigen. Einfach nur lächerlich.
"Und wie war´s?", fragte May, als sie die Tür ins Schloss fallen hörte.
"Augen öffnend beschreibt´s glaub ich am besten", erwiderte Peter und überlegte, wie er den ersten Schritt auf seine Tante zu machen konnte. Denn genau das war nicht passiert, niemand tat den ersten Schritt, was in endlosem Schweigen mündete. Aber wenn er das jetzt nicht tat, wann dann? Das ging jetzt schon viel zu lange so. "Hey, Tante May, ich muss dir was sagen."
"Was ist denn, Schatz?"
"Du weißt, dass uns beide Onkel Ben´s Tod hart getroffen hat, aber ich habe dich auch noch im Stich gelassen. Ich weiß nicht, wie man das nennen soll, aber ich habe wohl geglaubt, dass die Welt deswegen stehen bleibt. Ich war zu egozentrisch und habe alles und jeden um mich herum ausgeschlossen und mich in meiner Trauer verkrochen und mit meiner Wut ziemlich viele vor den Kopf gestoßen, was einfach nicht fair gewesen ist. Aber mir ist klar geworden, dass dieser Egoismus niemandem nützt und uns beiden schon gar nicht. Es treibt uns auseinander, dabei müssten wir doch jetzt erst Recht zusammenhalten. Und ich werde mich in dieser Beziehung ändern, versprochen. Onkel Ben hätte das, was wir im Moment machen, bestimmt nicht gewollt."
"Oh Peter, ich habe doch nichts anderes getan", sagte Tante May mit reumütiger Stimme. "Du bist noch ein Kind, ich eine Erwachsene, ich hätte besser mit der Situation umgehen müssen. Wir sind schon zwei ganz schöne Sturköpfe, was?"
"Ja, ich schätze das sind wir", stimmte Peter mit einem kleinen Lächeln zu und umarmte seine Tante. "Und ohne Onkel Ben als Puffer mit Sicherheit noch schlimmer als früher."
Die Umarmung wirkte mindestens genauso befreiend wie seine Erkenntnis durch Felicia. Tante May war ihm immer sehr wichtig gewesen und sie war nun die einzige nähere Familie, die er hatte. Er hatte sie verloren, obwohl sie die ganze Zeit bei ihm gewesen war. Aber das würde sich ab sofort ändern.
"Ich könnte uns einen Tee machen und gerade läuft "Liebe in Queens"."
Okay, vielleicht war er ein kleiner Fan der TV-Schnulze. Aber er schaute sie nicht regelmäßig, das wäre ja absurd. Doch während Peter sich noch vor sich selbst rechtfertigte, wechselte das Bild der Sendung und zeigte nun die Helikopter-Aufnahme einer Bank. Der Vorderausgang war umstellt von Polizeiatuos und Polizisten, die mit entsicherten Waffen warteten. Sirenen heulten und Blaulichter färbten die Wände der Bank. Mehr konnte man aus dieser Perspektive nicht sehen, einen Einblick in das, was innen vorging auch nicht.
"Wir unterbrechen Ihre Sendung für einen Sonderbericht", sagte eine weibliche Stimme. "In dieser Filiale der "Manhatten Bank" in der Innenstadt spielt sich gerade ein Geiseldrama ab. Laut aktueller Aussage der Polizei verschanzt sich ein maskierter Bankräuber mit mehr als einem Dutzend Geiseln in der Bank. Er ist bewaffnet. Die Lage ist kritisch und die Polizisten haben kein freies Schussfeld. Captain Stacy ist ebenfalls vor Ort und versucht momentan Verhandlungen mit dem Geiselnehmer aufzunehmen. Über neue Entwicklungen halten wir Sie selbstverständlich auf dem Laufenden."
Peter zögerte, als er die Bilder sah, nur einen Moment, löste sich dann von seiner Tante und sprintete die Treppen hoch. Das war ein Fall für ihn!
"Der Tee muss warten, Tante May", rief er von oben herunter und schloss seine Zimmertür hinter sich.
May schaute kurz verwirrt, zuckte dann jedoch mit den Achseln, da sie von Peter ein derartiges Verhalten gewöhnt war und versank wieder in der schnulzigen Soap. Währenddessen nahm Peter den doppelten Boden seiner Schublade ab und blickte vorfreudig auf sein rot-blaues Kostüm mit der großen Spinne auf der Brust (schwarz nicht zu vergessen, was Peter jedoch nicht weiß). Hastig schlüpfte er in sein enges Kostüm und schaute zufrieden durch die großen Linsen seiner Maske. Das Kostüm erfüllte ihm mit neuem Selbstvertrauen. Er war Spider-Man und das war die perfekte Situation, um wieder auf dem Plan zu erscheinen. Er verriegelte von innen die Tür seines Zimmers und setzte sich auf sein Fensterbrett, nachdem er das Fenster geöffnet hatte. Es war keine besonders große Höhe, verglichen mit den letzten Etagen der Wolkenkratzern, an denen er schon vorbei geschwungen war und doch konnte er es wieder fühlen. Eine Spannung, die seinen ganzen Körper durchströmte. Er spannte seine Muskeln, jede Faser in seinem Körper und fokussierte seine Gedanken. Ein sofortiger Absturz würde sich als Comeback wohl kaum gut verkaufen lassen. Nur Jameson hätte seine Freude daran. Dann sprang er ab und schoss ein Netz an die Laterne vor seinem Haus. Er schwang sich um sie herum und löste dann das Netz.
"Whohohouuu!", jubelte er und sauste im freien Flug an Mary Jane´s Haus vorbei. Dann landete das nächste Netz an der Straßenlanterne sechs Häuser weiter. Wie er das Netzschwingen vermisst hatte!
10 Minuten später hetzte der maskierte Räuber durch die Seitenstraßen von New York. Sein Atem war ein Keuchen und er schwitzte unter seinen schwarzen Klamotten, da die Sonne ihm keinen Gefallen tat. Er war vollkommen außer Atem und verschanzte sich in einem Häusereingang, als an der Querstraße ein Polizeiauto vorbei fuhr. Er machte sich ganz schmal und atmete erleichtert wieder aus, als das Auto seinen Sichtbereich verließ. Das Gewicht des Geldes, das John ihm brav in die Beutel gefüllt hatte, lastete schwer auf seinen Schultern, jedoch dachte er niemals daran, es zurückzulassen. Jetzt saß er erstmal hier fest, Polizeiautos patrouillierten durch den ganzen Bezirk. Sein Plan hatte an einigen Stellen nicht funktioniert, es hatte einfach zu lange gedauert. Der Verbrecher stützte seine Hände auf die Knie und saugte gierig die Luft ein. Der Plan war ein Reinfall gewesen, er war nicht schnell genug am Hinterausgang angelangt. Die Polizei hatte dort schon auf ihn gewartet. Er hatte zwei Autos und zwei Kugeln ausweichen müssen, letztere hätten ihn um ein Haar erwischt. Und jetzt saß er in dieser Sackgasse fest, mitsamt einem Penner, der an einer Mülltonne lehnte, und in dessen zotteligen Haaren bereits Ratten saßen und unachtsam hingeworfenen und gammlig riechenden Abfällen. Aber solange er außer Atem war und ihm die Kehle zu vertrocknen drohte, blieb ihm keine andere Wahl als dort auszuharren. Da bemerkte er ein Tippen an seiner Schulter. Langsam drehte er seinen Kopf, Schlimmes ahnend.
"Hey, ich bin´s", begrüßte ihn Peter und der Verbrecher stolperte aufschreiend zurück. "Haben die Leute echt so viel Angst vor mir? Oder war es die gruselige Atmosphäre? Nein, ich denke, es ist etwas anderes. Riechst du das auch? Das ist ja widerlich. Wie auch immer, ich fürchte du hast da was, das dir nicht gehört."
"Du bist wieder da?", fragte der Verbrecher verwirrt. "Aber man hat mir versichert, dass jetzt der perfekte Zeitpunkt für einen Überfall sei."
"Das sind aber ganz miese Quellen. Glaub mir, unter uns, Kriminellen sollte man nicht trauen. Die hintergehen sich alle gegenseitig, besser als eine Soap. Und sooo toll durchdacht scheint dein Überfall auch nicht gewesen zu sein. Aus der Amateur Liga wirst du wohl nie rauskommen", frotzelte Spider-Man.
"Doch und zwar, wenn ich Spider-Man töte!", schrie der Mann und nutzte seinen letzten Ausweg, seine Maschinenpistole. Schuss um Schuss verließ krachend den Lauf und schoss unaufhaltsam auf Peter zu. Der Verbrecher traute jedoch seinen Augen kaum, als die Kugeln wirkungslos in der Hauswand vor ihm einschlugen und Spider-Man ohne den geringsten Kratzer über ihnen an der Wand klebte.
"Du bist einer von diesen Mutanten, oder?", fragte der Mann mit vor Angst aufgerissenen Augen. Er sah ein, dass er hier nicht mehr glimpflich herauskam. Und in den Knast wollte er auf gar keinen Fall. Also tat er das einzig Sinnvolle: Der Verbrecher nahm die Beine in die Hand und rannte so schnell er konnte! Doch er kam nicht weit, denn nach drei Schritten schien es, als wäre er paralysiert. So sehr er auch versuchte, seine Beine nach vorne zu bewegen, er blieb an dem Fleck, auf dem er gerade stand. Als er an sich herunterschaute, erkannte er auch auf den ersten Blick warum. Sein Körper war hüftabwärts komplett von einem Netz eingehüllt. Die zähe Masse ließ keine Bewegung mehr zu. Spider-Man sprang von der Wand ab und landete vor dem Bankräuber.
"Wehe, du erzählst das Mutanten-Gerücht weiter. Bei schlechter PR verstehe ich nämlich gar keinen Spaß", amüsierte Peter sich und erspähte im Augenwinkel einen Polizeiwagen, der vor der Gasse hielt. Die Sirene heulte immer noch. Ein Polizist sprang heraus und entsicherte klickend seine Pistole. Peter´s Spinnensinn klingelte.
"Das sind mit Sicherheit Sie, oder Stacy?", riet Peter und drehte sich um.
"Hände hoch, du Mörder!", brüllte der ergraute Police Captain und richtete seine Dienstwaffe auf Peter´s Brust.
"Sie unterliegen immer noch einem Irrtum, Captain. Ihre Tochter wurde von einem Irren im Kobold-Kostüm getötet. Aber das sage ich Ihnen ja schon seit fast einem Jahr. Darüber hinaus habe ich ihre Arbeit gemacht und das soll der Dank sein? Sie können das Freund aus "Freund und Helfer" streichen", erwiderte Peter, schoss ein Netz an das Dach des Gebäudes zu seiner Linken und schwang sich auf es. Er winkte Stacy noch einmal zu und schoss dann an den Hochhäuserfassaden entlang. Schon nach einem Netzschwung hatte Stacy ihn aus den Augen verloren.
"Wenn ich diesen aufgeblasenen Angeber eines Tages erwische, ...", drohte Stacy und ging sich erschöpft durch sein kurzes Haar.
Die animalische Bestie, in die sich Felicia teilweise verwandelt hatte, stand vor einem recht großen Haus am Rande von Queens. Und auch wenn vor der Haustür kein Schild mehr mit der Aufschrift "Waisenhaus" stand, so war sie sich doch ganz sicher, dass sie hier richtig war. Felicia´s Erinnerungen hatten die Bestie hier her geführt. Sie ernährte sich von Felicia´s Hass und gewann Stärke aus ihrer Unsicherheit und Rachsucht. Dieses Waisenhaus war mit so viel Hass und so vielen schmerzhaften Erinnerungen verbunden. Jeder Schlag der Leiterin, jede Demütigung und jeder Ruf nach Hilfe, sie alle trieben die Bestie an. Felicia wehrte sich nicht, sie ließ es geschehen. Eine Gefangene in ihrem eigenen Körper mochte sie sein, dennoch hatte es dieses widerwärtige Monstrum, das sich Heimleiterin geschimpft hatte, verdient von der Kreatur aus dem Kristall zerfetzt zu werden. Sie bekam jede einzelne Sekunde bewusst mit und blieb stumm. Die Tür konnte ihrer Kraft nicht stand halten. Nach einem Schlag zerbarst sie und die Holzsplitter verteilten sich im ganzen Flur. Kleine Wunden, die die Splitter verursacht hatten, heilten sofort und nach zwei Sekunden war nichts mehr davon zu sehen. Ungehindert trat die Bestie durch die noch in den Angeln hängenden Türreste. Felicia war verwirrt, als sie in das Haus blickte. Die dreckigen und schimmligen Wände waren einem sauberen Anstrich gewichen, die verdreckte Küche, in der sich Bierkasten über Bierkasten aufstapelten, war sauber und sah sehr gepflegt aus. Die flackernde Glühbirne war durch eine vernünftige Lampe ersetzt worden und es lag nicht dieser widerliche Geruch in der Luft, der einen sofort zum Kotzen brachte. Das Horrorhaus war zu einer Traumimmobilie geworden. Die Bestie setzte ihren Weg jedoch unbeirrt fort. Erst jetzt fiel der Blondine die schmale Frau auf, die am Herd stand. Sie drehte sich um und blickte direkt in die animalischen Augen der Kreatur aus dem Kristall. Und anstatt der widerwärtigen Alten konnte Felicia eine Rothaarige Mitte 40 sehen, die sich eine rot-weiß karierte Schürze umgebunden hatte. Die Frau begann zu kreischen und lief den Flur entlang, um sich durch eine Tür am Ende zu retten, die vermutlich in den Garten führte. Die Bestie nahm die Verfolgung auf und ließ sich dafür auf alle Viere nieder. Eigentlich eine langsame Fortbewegungsart für Menschen, doch die Bestie preschte in einem Wahnsinnstempo voran. Sie drückte sich mit gestreckten Armen vom Boden ab, riss diese dann in einer Ruderbewegung wieder nach vorne und drückte sich dann wieder ab. Die Beine blieben dabei unbenutzt. Auf halber Strecke hatte sie die Frau eingeholt. Als die Rothaarige sich umdrehte, sah sie wie eine in schwarz gekleidete Jugendliche mit ihren Pranken voran auf sie zuschoss. Die Bestie riss sie um und die Frau knallte unsanft mit dem Kopf auf den Boden. Schreiend wehrte sie sich mit Händen und Füßen, als die katzenartige Jugendliche ihre krallenbesetzten Finger um ihre Kehle schloss und zudrückte.
"Nein!", schrie Felicia. Sie hatte also den Kelhkopf und das Sprachzentrum unter Kontrolle. "Das ist nicht die Frau, die uns... ich meine mich gequält hat. Sie ist nicht die Leiterin des Heims! Sie ist nur eine einfache Frau, die das Haus gekauft hat! Hör' sofort auf damit!"
Felicia´s Augen wurden wieder menschlich und sie bekam ein Stück weit Kontrolle über ihren Körper und löste sofort den Würgegriff. Aufstehen und sich selbst davor zu bewahren jemanden zu verletzen, konnte sie nicht. Die Bestie hielt zu sehr dagegen. Die Rothaarige krabbelte nach Luft japsend auf allen Vieren weg und als sie außer Reichweite von Felicia´s Pranken war, erhob sie sich und verließ stolpernd das Haus. Die Bestie stieß einen unmenschlichen Schrei aus. Langsam übernahm sie wieder die Kontrolle. Da vernahm Felicia im Hintergrund das Trippeln von kleinen Füßen auf der Holztreppe. Deshalb war die Frau nicht nach oben geflüchtet, sie hatte ihr Kind beschützen wollen.
"Hallo, wer sind Sie?", fragte ein kleiner Junge, vier Jahre alt, verängstigt und schaute in glühende, gelbe Augen, als die Bestie sich umdrehte. Er wich nicht zurück, sondern blieb starr vor Angst auf einer Stufe ungefähr in der Mitte der Treppe stehen. Die Bestie kam jedoch immer näher. Felicia versuchte alles, doch der Hass in ihr war stärker als alles andere. Sie hatte zu viel Leid erfahren müssen, zu viele Leute verloren. Im Grunde genommen war sie, obwohl sie Peter etwas anderes erzählt hatte, ein Festmahl für diese Kristallbestie. Sie war sich selbst der größte Feind, von Hass innerlich aufgezehrt. Seit ihre Mutter gestorben war, hatte sich nichts anderes als Hass aufgestaut, sie hatte keine Liebe oder Zuneigung mehr erfahren. Das Kind kreischte laut und schrill, als die Bestie die Hand hob und die Krallen auf das Kind zuschossen. Sie würden das Holzgeländer durchbrechen wie einen Zahnstocher und das Kind ebenfalls. Aber Felicia durfte sich nicht von ihrem Zorn führen lassen, sie musste den Ratschlag befolgen, den sie Peter gegeben hatte. Noch während dieses Gedankens hielt die Bestie mitten in der Bewegung inne. Die Krallen hatten weder das Geländer noch das kleine Kind erreicht, dass sich die Arme schützend vor die geschlossenen Augen gehalten hatte.
"Peter Parker", knurrte die Jugendliche mit einer verzerrten Stimme, die nichts Menschliches an sich hatte. Furcht einflößend und hasserfüllt. "Spinne... Fünf... Jagen!"
Davon ahnte Peter noch nichts. Der Held stand im Spider-Man Kostüm auf dem Vorsprung des Daches eines recht hohen Wolkenkratzers, von dem aus er die Stadt gut im Blick hatte. Kein Verbrecher würde ihm heute entgehen, er musste schließlich seinen, nun etwas zweifelhaft gewordenen Ruf aufpolieren. Gleichzeitig schwitzte er jedoch ungemein unter der Maske und dem Kostüm, der Schüler konnte sich nicht vorstellen, wieso Superhelden in Comics nie derartige Probleme hatten. Die Sonne ging bereits unter, doch kalt war es deshalb gewiss nicht. Der Himmel färbte sich bereits leicht dunkel und in den Straßen unter ihm schalteten sich die ersten Lichter an. Bald würde New York wieder eine bunte Nachtlebenstadt sein, aber bis dahin hoffte Peter zu Hause im Bett zu liegen. Vom einen auf den anderen Moment explodierte sein Spinnensinn und Peter glaubte sogar kurz ohnmächtig zu werden. Mit der Sonne griff ihn ein schwarzer Schemen an. Mit nach vorne gestreckten Händen sprang er auf Spider-Man zu. Dieser stand mit dem Rücken zur Gefahr und erkannte sie zu spät, als er sich umdrehte. Ein Paar krallenbesetzter Hände packten seinen Hals und die andere holte zum Schlag aus. An den Händen konnte Peter bei der in eine Art Lederkostüm gehüllte Person Haare erkennen und zwischen ihren langen Haaren ragten zwei katzenähnliche Ohren heraus. Man-Wolf?, fragte sich Peter, während er seinerseits ausholte und der Person vor sich einen Kinnhaken gab. Der Druck um den Hals wurde sofort schwächer und mit einem Tritt in den Magen schickte er den Angreifer in die Mitte des Daches. Den Aufprall auf diesem bekam ihm recht gut und sofort stand er wieder. Da die Sonne Peter immer noch kaum Konturen erkennen ließ, sah er nicht, wer ihn angriff, aber er war sich sicher, dass Man-Wolf nicht einen weiblichen Körper gehabt hatte. Wobei, er war ein Superheld, da gab es doch lauter solcher Sachen, oder? Die Frau vor ihm fletschte bedrohlich die Zähne und begab sich auf alle viere. Peter sah, dass sie jeden Muskel spannte und zum Angriff bereit war.
"Katzenlady, ich weiß nicht, was Ihr Problem ist, aber ich bin sicher, wir finden eine Lösung", sagte Peter, doch das Gesagte stieß auf taube Ohren.
Die Teenagerin schoss im nächsten Moment pfeilartig auf Spider-Man zu. Trotz des Spinnensinns und des Sichtkontaktes unterschätze Peter die Geschwindigkeit seiner neuen Bekanntschaft. Die Arme konnte er nicht mehr schnell genug hochreißen und erneut wurde ihm die Luft abgedrückt. Diesmal jedoch mit beiden Händen. Peter röchelte bereits, als Felicia ihm ihr Knie in die Rippen rammte. Die ganze restliche Luft entwich ruckartig aus seinem Körper. Die animalische Bestie, die Felicia beherrschte, lockerte den Griff, sodass Peter japsend nach Luft ringen konnte. Der ungesunde Blauton wich einem kreideähnlichen weiß. Mit dem wehrlos hängenden Peter trat die aus dem Kristall entlassene Bestie an den Rand des Daches. Peter hörte unter sich die Autogeräusche, die durch den Kessel, die die Hochhäuser bildete unfassbar laut war und zu einem Orchester anschwoll, als die Katzenfrau den Helden über die Straße hielt. Er wagte es nicht hinunterzusehen, hinunter in eine dicht befahrene Schlucht. Und dann löste die Angreiferin den Griff. Peters Augen wurden vor Schreck riesengroß, während die Etagen des Hochhauses an ihm vorbei schossen. Starker Wind fauchte um seine Ohren und ließ jegliches andere Geräusch verblassen. Bis auf eines. Als er die Bestie beobachtete, schien sie Schmerzen zu haben. Animalische Schreie hallten durch die Häuserschlucht. Sie fasste sich an den Kopf und sackte zusammen, während Peters Kräfte langsam zurückkamen. Diese Frau war stark, sie hatte ihn ordentlich erwischt. Durch die kurzzeitig fehlende Luftzufuhr war er wie gelähmt gewesen. Aber so schnell gab er nicht auf. 20 Etagen trennten ihn noch ungefähr vom Boden. Im Kopf des Schülers überschlugen sich die Gedanken. Ein Netz würde ihm, obwohl es ihm das Verwandeln in Mousse ersparen würde, den Arm zumindest auskugeln, wenn nicht sogar brechen. Aber er hatte keine großen Alternativen. Dieser Gedanke kam ihm, während er an den Büro´s im fünften Stock vorbeirauschte. Die aufsteigende Panik rang Peter nieder. So etwas konnte er sich nicht erlauben, dies war keine Serie. Er würde nicht plötzlich fliegen lernen oder von einem Gott, der dank eines Hammers fliegen kann, gerettet werden. Peter musste sich alleine helfen. Seinen Körper brachte er in eine waagerechte Position, das Gesicht in Richtung schnell herannahenden Boden gerichtet. Alle Gedanken und Geräusche um ihn herum schaltete er aus. Sein Fokus lag auf dem Gebäude, das dem, von dem er gefallen war, gegenüber lag. Jetzt durfte nichts schiefgehen. Er streckte seinen Arm aus und richtete ihn auf eine Häuserecke, die die dem Gebäude, von dem Peter fiel, gegenüberliegende Seite mit der, die anschließend nach rechts der Straße folgte vereinte. Im selben Atemzug drückte Peter auf den Netzwerfer. Das Netz schoss auf die etwas niedriger angepeilte Stelle. Peter zog an dem Netz und schoss mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zur Seite. Die Füße winkelte er an, sodass sie nicht den Boden berührten. Sein Po tat dies jedoch beinahe, so eng schoss er über den Asphalt hinweg. Dann löste er das Netz wieder und wurde in den strahlend blauen, wenn auch bereits leicht dunklen Himmel katapultiert. Der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn, sein Herz pochte, als wollte es aus seiner Brust springen und sein Körper überflutete ihn mit Adrenalin, weshalb er begann zu zittern. Aber er war am Leben. Mit drei Netzschwüngen schwang er auf das Dach zurück. Von der katzenartigen Frau oder Mädchen keine Spur. Nur ein kleiner Stofffetzen von Peters Kostüm erinnerte noch an den Kampf. Merkwürdig war ihr Verhalten gewesen. Aus irgendeinem Grund hatte sie ihn angegriffen und in dem Moment hatte sie ihn besiegt, warum sollte sie sich erart aufführen? Persönlichkeitsstörung? War möglich. Aber in diesem Fall brauchte er die Hilfe einer Freundin, nämlich Lee. Und bei dem Detective des NYPD war auch eine Entschuldigung nötig. Peter seufzte.
"Erzählen Sie uns doch bitte, was passiert ist", bat Detective Lee die junge Rothaarige, die Felicia attackiert hatte. Die beiden standen vor dem ehemaligen Kinderheim und die Afroamerikanerin hielt einen Notizblock und einen Kugelschreiber bereit. Dieser Fall war verrückt, mal wieder. Spider-Man schien derartige Probleme magisch anzuziehen. Im Hintergrund hörte man das schreiende Kind der Frau, das sich immer noch nicht beruhigt hatte. Man konnte es ihm kaum verübeln, immerhin hatte es einer gruseligen Katzenfrau, die es töten wollte, gegenüber gestanden. Peter stand links hinter Lee und hatte diese vor etwa einer halben Stunde in ihrem Büro gesucht. Selbstverständlich war die Polizistin nicht allzu gut auf ihn zu sprechen, doch als er ihr seine Situation so gut wie möglich erklärte, ohne etwas über sich zu verraten (sie war immerhin Polizistin und seine Identität sollte geheim bleiben), zeigte sie Verständnis und hörte Peter´s Bericht über den Angriff der Katzenfrau. Doch zum Erstaunen von Peter zeigte sie gar keine Reaktion, als wäre für sie das nichts Neues. Nachdem er geendet hatte, erzählte Lee von dem Anruf einer Frau, die von einer Katzenbestie sprach, die sie zu Hause attackiert hatte. Also hatten sie sich auf den Weg gemacht und hier standen sie nun. Als Team. Peter war ebenso interessiert wie besorgt. Diese Frau schien ebenfalls auf seine Angreiferin gestoßen zu sein und trotz fehlender Superkräfte war sie noch am Leben. Also was wollte die Kreatur? Welche Beziehung hatte sie zu Peter und der Frau? Und wie konnte Peter sie aufhalten? Eine Idee war Peter bereits zu letzterer Frage eingefallen, doch er war sich nicht sicher und die Angreiferin hatte nicht den Eindruck erweckt, als würde sie ihm die Chance für einen zweiten Versuch geben. Zuerst richtete er aber seine Gedanken auf die junge Frau vor sich. Als Verdächtige schloss er sie aus, da die Haare der Frau klar blond gewesen waren.
"Es war grauenhaft. Ich habe das Essen gekocht und plötzlich erschien diese Kreatur in unserem Flur und fing an mich zu attackieren."
"Wie sah die Kreatur? Können Sie uns ein ungefähres Bild geben?", unterbrach Lee die Mutter, da sie von Peter nicht viele Infos bekommen konnte.
"Ja, ich denke schon. Blondes Haar, Krallen an den Fingern, unglaublich schnell, ziemlich jung, schlanke Figur, im Teenageralter etwa."
"Verzeihung, sagten sie Teenageralter?"
"Ja, 16 oder 17 ungefähr", sagte die Frau.
"Und was geschah dann?", fragte Peter ungeduldig. Mit einem derart geschickten, starken und undurchsichtigen Feind hatte er es auch nicht alle Tage zu tun. Bei Carnage war es klar gewesen. Ein Irrer, der sich an ihm wegen eines verpatzten Überfalls rächen wollte, aber was trieb diese Teenagerin an?
"Sie hielt mich für die Heimleiterin. Beschuldigte mich sie gequält zu haben. Sie müssen wissen, Detective, hier stand einst ein Waisenhaus. Die Leiterin wurde wegen unmenschlicher Bedingungen festgenommen und sitzt im Gefängnis. Mein Mann und ich renovierten das Haus dann und zogen ein. Dann erhielt sie plötzlich eine menschliche Stimme, diese wirkte vertrauenerweckend und nett. Sie sagte, dass ich nicht die sei, die die Kreatur scheinbar suchte. Dann floh sie, nachdem sie beinahe meinen Jungen und mich getötet hätte", endete sie und musste beim letzten Satz anfangen zu weinen und verfiel in ein hysterisches Schluchzen.
Also eine Persönlichkeitsstörung. Er hatte also doch recht gehabt. Gleichzeitig lief es dem Helden auch eiskalt den Rücken herunter. So wie die Frau die Kreatur beschrieben und das Gesagte wiedergegeben hatte und wie er sie trotz der Sonne gesehen hatte, ergab sich für ihn eine Person daraus, die er lieber nicht verdächtigen würde. Felicia!, schoss es ihm durch den Kopf. Aber wieso sollte sie so etwas tun? Vielleicht hing das mit ihrer Vergangenheit zusammen und daraus resultierte eine zweigeteilte Persönlichkeit. Dr. Jekyll und Mr. Hide oder eher die Schöne und das Biest. Fakt war aber, dass er es sich nicht hatte eingestehen wollen, Felicia gesehen zu haben, aber er war sich sicher, dass sie ihn angegriffen hatte. Und was immer mit ihr los war, er konnte sie nicht hängen lassen, das schuldete er ihr. Jetzt musste sie gerettet werden!
Lee schaute zwei Sekunden später von ihrem Block auf und bedankte sich bei der jungen Rothaarigen, die ihre Tränen mit einem Taschentuch trocknete. "Das scheint die gleiche Kreatur zu sein, nicht wahr, Spider..." Lee beendete den Satz abrupt, als sie neben sich keinen Helden in rot-blau (und schwarz) fand. Dann drehte sie sich um die eigene Achse. Das durfte doch nicht wahr sein. Spider-Man war weg, wie in Luft aufgelöst. Wie machte er das nur immer?
Kurze Zeit später betrat Peter als Spider-Man verkleidet durch große Glastüren den gigantischen Eingangssaal des "NY". Und erneut stellte er sich die Frage, wie Felicia und ihre Adoptiveltern oder Mutter oder Vater sich das leisten konnten. Er war vollkommen überwältigt. Links und rechts fanden sich zwei großzügige Sofaecken, in deren Mitte ein großer Glastisch stand und an beiden Wänden hing jeweils ein mit Sicherheit sündhaft teurer Plasmafernseher. Rundherum war alles mit kleinen, in cremefarbenen Töpfen gesteckten Bäumen dekoriert und in der Mitte des Eingangsbereich begrüßte Peter ein Brunnen. Das Licht wirkte trotz der nun draußen herrschenden Dunkelheit sehr natürlich und schaffte eine sehr positive Atmosphäre. Der Boden war mit weißen Fliesen ausgelegt und wirkte so sauber als könne man davon essen. Was sollte man von einem Fünf-Sterne-Hotel in der Preisklasse auch anders erwarten? Mit großen Augen erreichte Peter den Empfang, hinter dem ein schnöselig wirkender Portier, gekleidet wie ein typischer Butler, mit peinlich akkurat zur Seite gekämmten und mit zu viel Gel fixierten Haaren und einem französischen Bart, wartete.
"Was kann ich für Sie tun, Mr.?", sprach er mit einem Unterton, der ungefähr "Ich bin gebildeter und vornehmer als alle anderen" ausdrückte. Das ein Kostümierter vor ihm stand, schien ihn wenig zu beeindrucken.
"Ja, sehr gerne. Wissen Sie zufällig die Zimmernummer von Felicia Hardy? Sie ähm nun ja, sie ist eine Verdächtige in einem aktuellen Fall", sagte Peter schweren Herzens.
"Das tut mir Leid, Herr Spider-Man, aber da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen."
"Aber Sie wissen, wer ich bin, oder? Einer von den Guten, der die Stadt ein paar Mal vor einem Haufen Irrer gerettet hat."
"Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst und schätze Ihre Arbeit sehr, doch Sie müssen mir verzeihen, denn Diskretion ist der Grund, warum sich hier seit Jahren Stars und Sternchen und alles, was Rang und Namen hat einquartiert", erklärte er höflich.
"Von mir aus können Sie das auch mit der Polizei ausdiskutieren. Ich arbeite mit dem NYPD zusammen und die laufende Ermittlung ist sehr wichtig. Also bitte, lassen Sie mich zu Felicia Hardy!"
"Nein, Sir, dies ist mir nicht gestattet."
"Sie haben nicht zufällig ein Telefon, oder?", fragte der Held, da eine Diskussion zu nichts führte.
Der Portier nickte und drückte Peter ein federmäppchengroßes Telefon in die Hand. Peter rief leicht verärgert Lee´s Handy an (die Nummer hatte sie ihm einmal zur Aufklärung einer Entführung gegeben). Diese meldete sich prompt.
"Hey, Detective. Hier ist Spider-Man. Ich bin einer heißen Spur nachgegangen und könnte Ihre Hilfe gebrauchen. Oder zumindest die polizeiliche Autorität. Wo ich bin? Im "NY". Zehn Minuten? Gut. Ich werde hier warten und mich auf die nach mir förmlich rufenden Sofas werfen. Bis gleich", beendete Peter das Gespräch und gab es dem Portier wieder. Jetzt hatte er Felicia´s Verwicklung, wenn nicht sogar Schuld, in bzw. an der Tat offen gelegt. Hoffentlich irrte er sich und sie war in Sicherheit und wohlauf, ohne eine Katzenbestie. Doch so einfach war es bekanntlich nie.
20 Minuten später klickte das Schloss der Tür, auf der in aus Silber gegossenen Buchstaben 42 stand, und sie schwang auf. Spider-Man trat zuerst in das dunkle Appartement. Die einzige Lichtquelle kam von den Lichtern der Hochhäuser und dem schwachen Mondlicht.
"Sie sind praktisch ein menschlicher Türöffner. Im Ernst, danke für Ihre Hilfe, Detective", sagte Spider-Man, während er in das geräumige Wohnzimmer trat. Peter tastete an der rechten Wand nach einem Lichtschalter. Einen Moment später machte es klick und das Wohnzimmer erhellte sich schlagartig. Es war stilvoll eingerichtet, im Grunde genommen wie ein normales Wohnzimmer, nur alles in größeren Dimensionen. Sowohl die Couch, der Fernseher als auch der Ausblick auf Manhattan waren deutlich besser als das, was Peter kannte. Auf der rechten Seite führte eine Treppe gerade nach oben, wo sich das Esszimmer und Bad befand. Und dennoch erschrak Peter.
"Das ist doch kein Akt, wir sind ein Team, was wir näturlich eher wären, wenn du mich mehr einbeziehen würdest", sagte Lee, als auch sie um die Ecke bog und die vor Kälte wimmernde Felicia in der Mitte des Raumes liegen sah. Sie war vollkommen nackt, hatte jedoch ihre Beine angezogen und die Arme darum geschlungen, um sich warm zu halten. Die Kette lag am anderen Ende des Raums, so als hätte sie sie weggeworfen.
"Felicia, was ist passiert?", fragte Peter, als er zu der Blondine, die kalkweiß im Gesicht war und am ganzen Leib zitterte, eilte.
"Dieses Monster, ich habe...ich wollte nicht...ich kann es nicht kontrollieren", stammelte Felicia mit klappernden Zähnen.
Peters Augen fanden die Tür zum Schlafzimmer und er betrat es, um Felicia etwas zum Anziehen zu besorgen. Sich wundernd, wo ihre Adoptivfamilie war, ging er an dem großen Bett, auf dem Samtbettwäsche zu finden war, vorbei und öffnete den Schrank an der Wand. Er zog die Kleiderbügel zur Seite, bis er einen weißen Bademantel gefunden hatte. Auch dieser war aus feinstem Stoff, doch das war nicht so interessant, wie das Kleidungsstück, was Peter daneben fand. Eine schwarze Lederjacke, deren Brustbereich mit weißem Fell geschmückt war. Die schwarze Katze! Das erklärte Vieles. Felicia war gar nicht adoptiert worden. Durch die Millionen, die sie raubte, konnte sie sich diesen Lebensstil locker leisten. Warum konnte er kein normales Mädchen kennen lernen? Aber das war momentan unwichtig, dachte Peter und schob diese Gedanken beseite und griff sich den Bademantel. Als er zurückging, bemerkte er eine braune Katze, die in aller Seelenruhe Milch aus ihrem Napf leckte. Lee hatte unterdessen versucht die Teenagerin zu beruhigen, doch sie war nervlich vollkommen am Ende. Peter reichte ihr den Bademantel und guckte weg, während sie sich ihn umwarf.
"Was habe ich nur getan?", flüsterte sie fassungslos.
"Das wollten wir von Ihnen wissen, Ms. Hardy", sagte Detective Lee. "Können Sie uns vielleicht sagen, was passiert ist?"
"Ich ähem kam mit einer Kette in Berührung..."
"Die da hinten?", unterbrach Spider-Man sie. Felicia nickte.
"Und plötzlich hatte ich keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Wie fremdgesteuert. Langsam habe ich mich in einen Tiermenschen verwandelt und das...ähem...Ding, was im Kristall gefangen war, sprach zu mir. Es sagte, es ernähre sich von meinem Hass und werde dadurch stärker und von ihm geleitet. Ich habe diese arme Frau angegriffen. Es tut mir so Leid, das wollte ich nicht, ich wollte das alles nicht", schilderte sie mit zittriger Stimme.
"Was wollten Sie denn von der Frau?"
"Nichts, Detective. Ich...der Hass, der mich seit Jahren quält, hat die Bestie an den Ursprung von ihm geführt, das Kinderheim, in dem ich teilweise aufgewachsen bin. Die Leiterin war grausam und ich bin deshalb irgendwann geflohen. Ich habe an einen Freund von mir gedacht, dem ich hatte helfen wollen."
"Welcher Freund?", hakte Lee nach.
"Ist doch egal, fahren Sie bitte fort, Felicia", kam Peter der Blondine hastig zuvor.
"Und dann hat sich die Bestie daran gemacht eine Spinne zu jagen, zuerst wusste ich nicht, wen sie meinte..."
"Bis du mich angegriffen hast. Du hättest mich beinahe getötet!", warf Peter ihr mit einem nicht beabsichtigten anklagenden Unterton vor.
"Ja, aber das wollte ich nicht...das war nicht ich. Ich versuchte mich gegen dieses Ding in mir zu wehren und schaffte es auch. Es brachte mich noch hierhin zurück, dann kontrollierte wieder ich meinen Körper. Ich warf die Kette weg und fühlte noch im gleichen Moment eine Lähmung, als wäre ich süchtig."
"Nehmen Sie denn Drogen, Ms. Hardy?"
"Nein, Detective. Es war diese Kette, sie rief mich und ich hatte das Gefühl sie zu brauchen. Mein Körper wollte dorthin ans Fenster gehen und sie wieder anlegen, doch ich kämpfte dagegen an und dann kamen Sie beiden."
"Also hat sich diese Bestie an denen gerächt, die Ihnen einst Unrecht taten?"
"Ja, ich denke schon", antwortete Felicia.
"Sollte das wieder passieren, müssen wir wissen, wen Sie so sehr hassen, dass diese Menschen zum Opfer des Dings aus der Kette werden könnten."
Felicia nannte ein paar Namen (in chronologischer Reihenfolge), die sich Lee notierte und versprach sich deren Verbindungsdaten geben zu lassen, sodass die Polizei im Notfall schnell vor Ort sein und Felicia davon abhalten konnte etwas zu tun, was sie später bereuen könnte. Spider-Man ging die Sache etwas anders an. Während Lee, die immer noch vor Angst zitternde Felicia ins Schlafzimmer und ins Bett brachte und dann die Tür schloss, schoss er ein Netz an die Kette, die in seine flog.
"Was tust du denn da?", schrie Lee aufgebracht. "Das sind Beweise und zufällig auch die einzige Sache, die Ms. Hardy in eine Bestie verwandelt."
"Das weiß ich", erwiderte Peter.
"Gut, dann gib sie mir, damit die Polizei die Kette rund um die Uhr bewachen kann."
Peter betrachtete die Kette in seiner Hand. Sie war zu gefährlich. "Nein", sagte er energisch. "Ich werde es nicht der polizeilichen Obhut überlassen. Weil dann immer alles schief geht. Zum Beispiel Cassidy. Er wurde auch von der Polizei überwacht und was hat es gebracht? Viele Unschuldige starben. Nie wieder lege ich derartige Verantwortung in ihre Hände. Tut mir Leid, Detective."
Mit diesem Satz verschwand der Held durch die geöffnete Balkontür. Lee schaute ihm beunruhigt hinterher, während Spider-Man sich von Hochhaus zu Hochhaus hangelte. Was tat er denn da? Und woher kam diese bissige Bemerkung von Carnage? Was Spider-Man tat war gefährlich. Lee war sich nun sicher: Sie konnte ihm nicht trauen, er war ein enormes Sicherheitsrisiko. Er widersetzte sich ihr, der Polizei und dem Gesetz. Viele solcher Nummern konnte sie ihm nicht mehr durchgehen lassen. Bald würde sie gegen ihn handeln müssen.
"Hoffentlich kommt es niemals so weit", murmelte Lee und wandte ihren Blick von der sternenklaren Nacht ab.
Obwohl Peter nach der Konfrontation mit Lee sofort nach Hause zurückkehrte und kurze Zeit später erschöpft einschlief, war es doch ein unruhiger Schlaf. Seine Gedanken kreisten sich um zwei Themen. Felicia und die Kette und Lee. Das tödliche Schmuckstück hatte er in dem doppelten Boden seiner Schublade versteckt, aber seine Sorge galt seiner neuen Freundin. Er hatte gegen sie gekämpft und sie zumindest teilweise gesehen. Da war nichts Menschliches mehr an ihr gewesen, ein Tier, mehr war sie nicht gewesen. Und die Sucht gegenüber der Kette, von der die Blondine gesprochen hatte, machte ihm auch Angst. Was, wenn sie wieder das Tier wurde? Was, wenn er sie nicht retten konnte? Würde er dann die Grenze überschreiten? Er musste sie dann töten, aber das war falsch und nicht der richtige Weg. Aber obwohl er seine Tat an Cassidy mehr als nur bereute und von Schuldgefühlen bombardiert wurde, so war die Entscheidung, wenn er ehrlich zu sich selbst war, vertretbar gewesen. Ein Monster musste sterben, um das Leben vieler Unschuldiger zu retten. Aber das war nicht seine Art, es war nicht der Weg, den sein Onkel ihm gezeigt hatte. Eher würde er sterben, als noch jemandem das Leben zu nehmen. Das Motiv der Tat war aber das Widerlichste gewesen. Er war in diesem Moment kein nobler Ritter gewesen, der den Drachen erlegt, um das Dorf zu schützen, nein, er war Richter und Henker in einem gewesen, voller Wut und von seinem Hass geblendet. Niemals mehr wollte er derartige Gefühle spüren, nie wieder Schicksal spielen. Er war kein Gott, da hatte Felicia Recht. Nur ein Mensch, der seinen Onkel nicht retten konnte und dann das von ihm Gelehrte sofort verwarf. Lee war ein weiteres Problem, die ganze Polizei generell. Er hatte gesehen, wie inkompetent sie waren, hatte gesehen, wie unorganisiert und dumm sie reagierten. Sein Onkel hatte deshalb sterben müssen, nicht nur ihn traf Schuld. Aber er konnte nicht auch noch ihren Job übernehmen. Oder doch? Vielleicht war eine Überwachung durch ihn das einzige Mittel, vielleicht musste er ein überlegender Spider-Man werden. Doch das würde ihn das letzte Vertrauen seiner Freunde und Partner kosten. Das Misstrauen Lee´s wuchs, das hatte Peter gemerkt. Sie würde sich eines Tages gegen ihn wenden und der Held wusste nicht, wie er reagieren und was er tun würde.
Währenddessen bekamen die schwarzen Stellen des Anzugs tentakelartige Glieder und wucherten auf andere Stellen in der totalen Dunkelheit der Schublade. Dort flachten sie ab und überdeckten die Stellen. Alles blau des Anzugs hatte sich nun in tiefes schwarz verwandelt. Der Symbiont übernahm immer mehr die Kontrolle. Der Tod von Peters Onkel hatte ihn genährt, wie kein anderes Ereignis. Sein sorgfältig geplanter Mord an ihm hatte seinen Plan um Monate angekurbelt. Bald würde er Spider-Man sein. Und dieser dämliche Mensch merkte es nicht einmal. Sicher, er war nicht farbenblind, aber der Symbiont manipulierte seine Wahrnehmung, sodass der nun rot-schwarze Anzug für jeden Menschen in genau den Farben erschien, nur für Peter sah er immer noch rot-blau aus. Peters Zorn auf Cassidy, hervorgerufen durch die vollständige Lahmlegung der Impulse an Peters Körper durch den Symbionten, was Peter zu einem untätigen Zuschauer beim Mord machte, und seine Schuld, sein Selbsthass, all das hatte seinen Radius erweitert. Er hatte bald die totale Kontrolle!
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, warme Sonnenstrahlen fielen durch die zu Schlitzen geöffneten Rolladen, als Felicia langsam ihre Augen öffnete. Müde ging sie sich mit den flachen Händen übers Gesicht. Ein kurzer Blick auf ihren Wecker zeigte ihr, dass es bereits 17 Uhr waren. Kurz fielen ihre Augen wieder zu, bis das soeben Gesehene ihr Gehirn wirklich erreichte und sie ihre Augen augenblicklich aufriss. 17 Uhr? Ins Bett gegangen war sie maximal um 12 oder halb 1. Wie hatte sie 17 Stunden schlafen können? Verwirrt richtete sich die in ein langes T-Shirt gehüllte Blondine in ihrem warmen Bett auf und ging sich durchs lange Haar. Und warum war sie nach 17 Stunden immer noch so müde? Sie schlug ihre Seidendecke zur Seite und setzte sich auf die Bettkante, den Kopf in die Hände gestützt. Am liebsten hätte sie sich einfach wieder hingelegt, aber etwas in ihr kämpfte dagegen an. Sie hatte eine Aufgabe, es war wie ein Jucken im Hinterkopf, an dem sie sich nicht kratzen konnte. Felicia wusste, dass sie etwas zu tun hatte, aber was entzog sich ihrem Wissensstand. Darüber leicht verärgert stand sie auf und wollte sich auf den Weg in ihr wohnzimmergroßes Bad machen, als sie vor dem Schrankspiegel stehen blieb und beinahe laut aufgeschrien hätte. Ihr Zimmer war ordentlich wie immer, nur ein Kleidungsstück lag auf dem Boden herum. Ihre Augen waren gerötet und tiefe Augenringe untermalten dies. Ihr Gesicht war leichenblass und wirkte eingefallen. Generell wirkte sie eher wie ein Toter als ein Lebender. Aber das schockierte sie nicht, sondern als sie sich ein fehlgeleitetes Haar aus dem Gesicht strich, sah sie eine weiße Strähne. Weiß? Mit einem mulmigen Gefühl trat sie näher an den Spiegel heran. Sie rieb sich einmal kurz die Augen, vielleicht war sie einfach nur komplett übermüdet. Doch von nahem war es noch schlimmer. Ihr komplettes Haar war von weißen Strähnen durchsetzt.
"Oh Gott!", brachte sie nur hervor. Wie hatte ihr das nur passieren können? Und obwohl sie sich diese Frage stellte, war die Antwort eigentlich klar und lag auf der Hand. Die Kette! Sie hatte irgendetwas mit ihr gemacht. Irgendwie ihr Leben ausgesaugt. Und tatsächlich lag die blonde Teenagerin gar nicht einmal so weit daneben. Die Kette zog Kraft aus ihrem Hass, ihrer Unsicherheit und gab ihr so die Fähigkeiten, die Felicia letzte Nacht im Automodus erlebt hatte. Doch gleichzeitig brauchte sie Energie, um sich zu nähren, brauchte Energie, um die Manipulation aufrecht zu erhalten. Und diese nahm sie Felicia weg. Sie stahl ihr nach und nach ihr Leben. Nur mit der Kette ging es ihr gut. Und zugleich lüftete sich ein Nebel, eine Barrikade, ein Damm brach und Felicia´s Gedanken drehten sich nur noch um ein Thema. Wo ist die Kette? Alles für den heutigen Tag Geplante war verschwunden, aus ihrem Gedächtnis gelöscht und nur noch auf die Kette fokussiert. Felicia fühlte sie irgendwie, sie fühlte wo sie war. Es war schwer zu erklären, wie ein biologischer Kompass. Sie musste sie sofort finden, um jeden Preis. Nur sie konnte jetzt noch helfen. Sie vergaß alle Routinen, verzichtete beispielsweise auf Kämmen und Zähne putzen und wechselte ihre bequemen Schlafklamotten in Windeseile zu normalen Straßenklamotten, also Jeans und T-Shirt gewechselt. Ihr Diebinnenoutfit zu zeigen war zu riskant, man könnte sie sehen und mit der Meisterdiebin Black Cat in Verbindung bringen und das war das letzte, was sie im Moment gebrauchen konnte. Während des Streits zwischen Spider-Man und der Polizistin hatte sie es in ihrem Safe hinter dem Schrank versteckt, der durch ein 32-stelliges Passwort gesichert und nachträglich in die Wand eingebaut worden war. Dort lagerte ein Großteil ihrer erbeuteten Ware und des Geldes, das sie für bereits verkauftes Diebesgut bekommen hatte. Ihre Haare ließ sie wild sie waren und wollte das Schlafzimmer gerade über die Tür verlassen, als sie wie zu Stein erstarrt inne hielt. Von außen hatte sie ein Geräusch gehört, eine Stimme vielleicht und war definitiv in ihrem Appartement entstanden. Auf leisen Sohlen schlich sie sich an die Tür und lauschte.
"Wann kommt unsere Ablöse?", fragte eine dunkle Männerstimme.
Es enstand eine kurze Pause, in der sein Gegenüber wohl auf die Uhr schaute. "In einer halben Stunde. Dann sind einer der zwei langweiligsten Stunden meines Lebens herum. Die Kleine schläft immer noch und tut auch niemandem was, warum lässt Lee uns sie überhaupt beschatten?", erwiderte ein anderer Mann.
Polizei!, schoss es Felicia durch den Kopf. Das war alles andere als gut. Polizei machte immer nur Ärger. Und war korrupter als die Senatoren New Yorks.
"Ich wäre da vorsichtig, auf dem Revier habe ich die merkwürdigsten Dinge über sie gehört. Angeblich soll sie sich in eine Art Werkatze verwandelt haben, aber eher Panther statt nette kleine Mieze."
Jetzt lachte der Fragesteller. "Das ist doch dummes Gewäsch, was du wiedergibst. Auf dem Revier gibt es immer solche Gerüchte. Das ist der einzige Spaß, den wir Polizisten am Tag haben. Auch wenn das etwas traurig ist, aber das weißt du genauso gut wie ich."
Im nächsten Moment hielten die beiden Polizisten nun ihrerseits inne. Ein lautstarkes Poltern kam aus dem Zimmer der Teenagerin. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Der eine, ein rothaariger Hüne, nickte dem anderen, ein eher schmalschultriger Blonder, zu und dieser zurück. Sie griffen beinahe gleichzeitig nach den Griffen ihrer Pistolen, die in ihren Holstern an der rechten Seite der Hüfte ruhten. Ihre Kleidung war mehr freizeitlich als dienstlich, da Lee damit hatte verhindern wollen, dass sich Felicia bedroht oder eingesperrt fühlte. Das bedeutete Jeans und ein kurzärmliges Hemd. Ein Klicken signalisierte das Entsichern der Waffen. In leicht gebückter Position eilten sie auf die Tür zu und der Schmale umfasste die Klinke. Er wartete ein erneutes Nicken seines Partners ab, dann drückte er die metallen in der Sonne glänzende Klinge der hellbraunen Holztür zum Schlafzimmer herunter und schwang sie auf. Es empfing sie eine Dunkelheit, die nur durch schwache Lichtkegel durchstoßen wurde. Die Sicht war dementsprechend gleich null. Es zeichneten sich nur die klaren Strukturen des Betts und des Schrankes ab. Ratlos schaute der Hüne seinen Kollegen an. Plötzlich gab es ein dumpfes Geräusch und die Welt vor den Augen der Beamten verschwamm. Mit einem ungeheuren Druck von hinten wurden sie nach vorne geschleudert und fielen ohne sich abzustützen, somit ungebremst und mit voller Wucht auf den harten Boden. Sie verloren sofort das Bewusstsein. Verantwortlich war dafür eine circa 1,50m lange Metallstange, die in Felicias Kleiderschrank als Querbalken und somit als Platz zum Anbringen von Bügeln gedient hatte und für einen harten Schlag auf den Hinterkopf zweckentfremdet worden war. Völlig unberührt ließ die hinter den flach ausgestreckten Körpern der Polizisten stehende Felicia die Stange klirrend zu Boden fallen. Vollkommen ruhig öffnete sie die Schlafzimmertür und betrat das Wohnzimmer mit einem Gedanken: Sie musste die Kette in die Finger zu bekommen!
Gleichzeitig hing Peter bei den Docks an der Decke eines Lagerhauses und beobachtete im schwarz-roten (Verzeihung, blau-roten) Dress das Geschehen unter sich. Draußen kreischten die Möwen und flache Wellen brandeten an den Kais. Die Infos, die er nach ein wenig Überzeugungsarbeit von ein paar Kleinkriminellen und Dealern bekommen hatte, stimmten mit dem, was unter ihm ablief überein. Überzeugungsarbeit war vielleicht etwas sehr positiv ausgedrückt, es gehörten auch Knochenbrüche, fehlende Luft und bei einem sogar große Höhen dazu, aber schließlich war er hier. Und das war wichtig, vor allem für Liz' Leben. Er erspähte vier Männer mit Maschinengewehren, die aufgepumpt und durchtrainiert aussahen. Sie hielten sich im Hintergrund und waren an Ein- und Ausgängen positioniert. Die Hauptakteure waren zwei Männer, die sich in der ungefähren Mitte der Halle befanden. Der rechte, unter anderem auch der Auftraggeber der Muskelprotze, war Mitte fünfzig und hatte langes, getönt dunkles Haar, dass er sich schmierig zurückgegeelt hatte. Sein Name war für den Schüler im Heldenkostüm unaussprechlich, denn er kam aus Russland. Der linke war Amerikaner. Robert Slott, kurze Stoppeln gingen nahtlos in einen Dreitagebart über, was seine eiskalten, blauen Augen besser zur Kenntnis brachte. Ein bekannter Mafiosi, seine Bodyguards sicherten das Gebiet rund um das Lagerhaus, was jedoch kein Problem für die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft dargestellt hatte. Doch das Allerwichtigste war nicht zu übersehen und stapelte sich meterweise in der großräumigen Halle. Kisten, mindestens 1,20m hoch und 1m breit. Und diese beinhalteten das Teufelszeug, das Liz Peter hatte geben wollen, um ihn zu trösten. Doch Peter hatte stattdessen gesehen, was es mit Liz angestellt hatte und keine gefälschte Einbildung oder ein Gespräch waren einen derart hohen Preis wert, von allem nicht das komplette Verlieren der Kontrolle über sein Leben, weil sich alles um diese Sucht nach Halluzinogenen drehte. Er würde die Flut der neuartigen Droge stoppen und das war wohl die neuste Lieferung. Und wenn er sich mal umsah, würde diese für Monate reichen. Und den Nutzern so viel Leid bringen. Das musste, nein würde er verhindern. Gerade als Slott den Deal mit dem Russen per Handschlag besiegeln wollte, löste Spider-Man seine Härchen von der Wand und ließ sich zwischen die beide fallen. Amüsiert sah er in die verdutzten Gesichter.
"Hi, warum wurde ich nicht geladen?"
Für einen Augenblick herrschte Totenstille. Da holte Slott Luft, um seinen Männern, die draußen eigentlich für keine Störungen sorgen sollten, den Befehl zum Angriff zu geben, aber der junge Held fiel ihm ins Wort: "Das würde nichts bringen, Mr. Supermafiosi. Ihre lieben kleinen Spielkameraden machen gerade eine Mittagspause. Da haben Sie mich wohl grob unterschätzt", spottete Spider-Man.
Während der Russe seinen Wachen zurief, dass sie jetzt für ihr Geld was tun müssten, packte Slott die kalte Wut. Unüberlegt hieb er nach Peter und legte seinen ganzen Körper in den Angriff. Peter lächelte unter der Maske. Vom Spinnensinn gewarnt trat er einfach einen Schritt zur Seite und beobachtete mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, um ihn weiter zu verhöhnen, wie der Mafiosi ohne eine Möglichkeit zu stoppen gegen eine Kiste fiel und sofort Sternchen sah. Anschließend empfing den reichen Drogenboss eine angenehme Dunkelheit.
"Du hast deinen taktischen Vorteil für einen besseren Auftritt aufgegeben?", wundert der Russe sich verwirrt, während aus vier Richtungen Maschinengewehre entsichert und bereits auf Peter gerichtet wurden.
"Was tut man nicht alles dafür, dass dem Gegner eine coole Erinnerung für die kalten Knasttage bleibt", witzelte Peter und sprang über den Lieferanten. Er landete genau hinter ihm und umschlang den Hals des Russen mit seinem rechten Unterarm. Er hatte nun zwei Bodyguards zu seiner rechten und zwei zu seiner linken. Ihr Boss, den Peter als menschlichen Schild nutzte, würde verhindern, dass er von Kugel durchsiebt wurde.
"Ich würde euch das mit dem Schießen noch ein klein wenig überlegen."
Unschlüssig zögerten die Wachen und starrten ihren Boss fragend an. Sie schwitzten vor Adrenalin und ein klein wenig Angst. Denn gegen das, was man sich in der Unterwelt über Spider-Man erzählte, war das was man sich auf dem Polizeirevier über Felicia gerüchtweise streute, mehr als nur harmlos. Peter reagierte instinktiv und schneller als ein Blitz. Er beschoss jeden mit einem Netzschuss. Wie geplant trafen die weißen Netze genau das Gesicht der muskelbepackten Männer und nahmen ihnen somit komplett die Sicht. Das Netz erstreckte sich vom Stirnansatz bis zum Nasenende. Während die bewaffneten Bodyguards versuchten sich das zähe Netz vom Gesicht zu reißen, traf Peter den Russen so mit dem Ellenbogen an der Schläfe, dass er sofort erschlaffte und Peter ihn ohne Gegenwehr zu Boden fallen lassen konnte, da er wie Slott auf dem Weg ins Land der Träume war. Dann stellte Peter sein Standbein nach hinten und sprintete im nächsten Moment los. So schnell er konnte erreichte er die erste Zweiergruppe auf der Ostseite der Halle. Sein rot-schwarzes Bein traf die Schienbeine der Gegner seitlich und riss sie von den Füßen. Diese sahen natürlich nichts und fielen ohne jegliche Orientierung zu Boden. Während sie noch über den heftigen Aufprall auf dem unbequemen Steinboden stöhnten, spann Peter bereits ein Netz. Das Endprodukt waren zwei sushiartige Kokons, aus denen zwei Köpfe heraus ragten, damit die Muskelpakete nicht erstickten. Den dritten erledigte er auf die gleiche Weise. Nur der vierte machte da eine Ausnahme. Denn in der Zeit, in der sich Peter um seine Kollegen gekümmert hatte, hatte er sich von seinem Netz befreit und hob seine Fäuste, da er seine Waffe fallen gelassen hatte und er es für zu riskant ansah, sich im Kampf zu bücken. Sein schwarzes Unterhemd drohte von seinen Brust- und Bauchmuskeln zum Platzen gebracht zu werden, zumindest wirkte es auf Peter so, seine Adern traten am durchtrainierten Bizeps stark hervor und eine riesige Schlange war auf seinem rechten Oberarm tätowiert und erstreckte sich bis Handgelenkt, wo sich dann der Schwanz fand. Peter stellte sich auf einen kurzen Kampf ein. Nahkämpfe waren nie ein Problem. Sein Spinnensinn warnte ihn, somit war es seine einzige Aufgabe auszuweichen. Doch er irrte sich, dieses Mal würde es nicht so einfach gehen. Der Muskelprotz ließ seine Fingerknochen bedrohlich knacken und legte mit dem Knacken seines Halses noch einen drauf. Peter hingegen fokussierte sich auf seinen Spinnensinn. Er musste perfekt reagieren, nur das würde einen schnellen Sieg bringen. Jede Faser in seinem Körper war bis zum Reißen gespannt. Die Luft schien vor Spannung zu knistern. Peter wartete ab, einen Angriff zu wagen, war zu riskant. Der Typ sah aus, als könnte er ihm jeden Knochen mit einem Hieb brechen. Schlussendlich griff der Muskelprotz an. Sein linker Arm schoss auf Peter zu. Dieser, natürlich gewarnt durch den Spinnensinn, wich zur Seite aus und der Schläger hieb ins Leere. Dann schoss er ein Netz an seinen Oberkörper und riss ihn in vollem Lauf nach hinten. Er hob den Typen vollkommen von den Füßen und schleuderte ihn mit einem Ruck nach hinten. Unsanft knallte der Typ mit seinem Schädel auf den dreckigen Boden. Er sah Sterne und war vollkommen orientierungslos. Das nutzte Peter, sprang auf ihn und knockte ihm mit einem gezielten Schlag auf den Nasenrücken aus. Das würde ein hübsche Krümmung geben, dachte Peter. Vielleicht hatte er die Gefahr etwas dramatisiert. Die Hauptsache war jedoch, dass er diese beschissene Droge konfisziert hatte. Jetzt musste er nur noch die Polizei rufen und die Sache wäre vom Tisch. Dennoch stand er unschlüssig vor einem Karton. Dieses Zeug, so schlimm es auch wahr, hatte ihm seinen Onkel wiedergegeben. Er war real gewesen, hatte als Mensch aus Fleisch und Blut vor ihm gestanden. Peter kaute nervös von innen an seiner Wange. Er würde alles geben, um den Mann, den er ins Grab gebracht, aber mehr als jeden anderen geliebt hatte, wiederzusehen. Wirklich alles? Auch seine Rationalität und Kontrolle über sein Leben? Für Peter waren das nur rhetorische Fragen. Onkel Ben war alles wert.
Für Lee war der Arbeitstag nicht anders als der vorherige oder als jemals einer. Und dennoch beschäftigte den Detective noch etwas anderes als endlos wirkender Papierkram. Spider-Man wurde langsam zu einem Problem. Er mochte Gutes tun, aber er ging die Sachen falsch an. Er jonglierte auf einem schmalen Grad zwischen Gesetz und Vigilant. Sie war sich sicher, dass sie ihm eines Tages begegnen würde, aber auf der anderen Seite. Und Lee wusste nicht ob sie diesen letzten Showdown überleben würde. Er war einfach zu emotional, zu sehr in die Sache verstrickt. Egal, was er ihr erzählen wollte, er kannte dieses Mädchen und er hatte die Kette mitgenommen, um sie zu schützen. Sie hatte die Zeit bis zu ihrer Mittagspause damit verbracht die von Felicia genannten Namen zu überprüfen und ihnen Wohnorte und Telefonnummern zuzuweisen. Felicia hatte die Liste so genannt, dass die Person, die sie am meisten hasste als erstes stand. Die erste Person, die Heimleiterin, saß im Gefängnis und Felicia hatte ihre Spur nicht, wusste nicht wo und in welcher Zelle sie saß. Aber die zweite wohnte schon seit ihrer Pensionierung am gleichen Ort, seit 8 Jahren. Ein Polizist im Ruhestand und obwohl sich Lee die Verbindung nicht zusammenreimen konnte, hoffte sie, dass Spider-Man die Kette gut verwahrt hatte, denn beim nächsten Mal würde sie eine geladene Waffe auf Felicia richten müssen. Ihre Gedanken würden jäh vom Klingeln ihres Telephons unterbrochen. Es war ein nerviges, mal lauter, mal leiseres Klingeln, dass sie dazu brachte sofort dranzugehen. In ihren Gedanken betete sie, dass das nicht der Held von New York war.
"Hey, Detective", begrüßte sie da eine bekannte Stimme.
Scheiße! "Du wilst mir doch nicht das sagen, was ich denke, was du sagen willst, oder, Spider-Man?"
"Es könnte unter Umständen passiert sein, dass jemand, ich tippe stark auf Felicia, die Kette geklaut hat", beichtete der Superheld von einer Telefonzelle aus.
"Was?", schrie Lee aufgebracht. "Ich habe dir doch gesagt, dass die Polizei die Sache im Griff hätte! Aber du musstest ja so egozentrisch sein!"
"Das hat damit nichts zu tun, sondern mit meinem mangelnden Vertrauen in die Polizei. Doch die Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter. Ich brauch die Adresse der ersten Person!"
"Scott Pert, ein pensionierter Polizist. Queens, Raimistreet 23. Wir treffen uns dort, du Held", antwortete Lee bissig.
Als Antwort bekam sie den monotonen Auflegeton vorgespielt und drückte verärgert auf den roten Hörer. Das war abzusehen gewesen, er dachte einfach zu wenig über die Konsequenzen nach. Die durfte sie wieder tragen. Sie packte ihre Schlüssel und ihren Mantel und rannte so schnell sie konnte aus dem Büro heraus. Hoffentlich kam sie nicht zu spät. Hoffentlich musste niemand die Konsequenzen tragen. Weder sie, noch Spider-Man und vor allem nicht das unschuldige Mädchen.
Scott Perts Haus unterschied sich nicht sonderlich von den anderen in Queens. Es war genauso lang wie die anderen, hatte einen gepflegten Vorgarten, eine angebaute Garage und wirkte idyllisch. Es war in roten Ziegeln gebaut worden, das Dach war mit schwarzen Kacheln bedeckt. Ein roter Briefkasten wartete neben der kleinen Gartentür auf Post und der Rasensprenger lief im hinteren Garten. Für all diese Sachen hatte die rohe Bestie keinen Sinn, die schwer atmend auf das Haus zustapfte. Es begann die Straßenlaterne zu leuchten, als Felicia, besessen von dem Kristall, durch den kleinen Holzzaun trat, als gäbe es ihn gar nicht. Metallsplitter flogen durch die Luft, doch die katzenartige Bestie interessierte das nicht. Unbeirrt setze sie ihren Weg fort. Diese törichte Blondine, die sie besetzt hatte, hatte sich etwas vorgemacht. Der Wunsch nach Rache brodelte in ihr seit Ewigkeiten. Sie hatte sich vielleicht eingeredet, dass sie darüber hinweg gekommen war, aber dem war nicht so. Deshalb hatte die Kette eine solche Sucht auf Felicia ausüben können, die sie dazu gebracht hatte bei Peter einzubrechen und sie sich zurückzuholen. Denn auch wenn die Blondine, deren blonde Haare mittlerweile sehr rar waren und aufgrund der verlorenen Lebensenergie durch weiße ersetzt worden waren, kein schlechter Mensch war, so wollte sie dieses Schwein doch bezahlen lassen. Und sie hatte gewusst, dass nur die Bestie ihr helfen kann. Diese hatte inzwischen die Tür erreicht, als sich die anbrechende Nacht plötzlich lichterloh erhellte. Verwirrt drehte sie sich um. Ein gleißend helles Licht, von dem Scheinwerfer auf einem Polizeiwagen ausgehend, blendete sie und die Bestie jaulte auf. Als ihre Augen sich langsam an das Licht gewöhnt hatten, erkannte die Kristallbestie eine weibliche Person bzw. ihre Silhouette, die auf sie zuschritt. Eine handliche Pistole war auf den Hybriden gerichtet.
"Lee", fauchte sie.
"Wir können das friedlich klären, niemand muss verletzt werden", versuchte der afroamerikanische Detective, in ihren üblichen Trenchcoat gehüllt, Felicia zu beruhigen. Ein verzerrtes, unmenschliches Lachen hallte durch die in das rötliche Licht des Sonnenuntergangs getauchte Straße.
"Dann sagen Sie dass doch mal dem heuchlerischen Arschloch, dass darin seine Rente genießt und meine Eltern ungerächt ließ!", schrie nun Felicia mit ihrer eigenen Stimme. "Er wurde bestochen als leitender Ermittler den Fall abzuschließen und seine Männer standen hinter ihm und deckten seinen Betrug. Dieser bierbäuchige, kalte Wichser verdient das Leben nicht!"
Der Hass, der Lee förmlich entgegenkam, erstaunte sie. Das passierte wohl, wenn man niemanden an sich ran lässt und alles mit sich selbst ausmacht. Es verbittert einen und lässt den Hass auf seine Umwelt steigen.
"Das was er getan hat, war bestimmt mehr als nur falsch. Aber deshalb müssen sie nicht auf sein Niveau herabsinken. Seien sie besser als er. Lassen sie das Monster nicht ihre Entscheidungen fällen!"
Felicia hatte die Kontrolle über ihren Körper wieder der nach Blut lechzenden Bestie entrissen und stand als normaler Mensch vor Lee.
"Das ist etwas, dass ich nie verstanden habe. In Filmen lassen sich die Antagonisten so oft von ihrem Weg abbringen. Aber sie scheinen nicht das Problem verstanden zu haben. Ich will nicht besser sein, ich will ihn nur tot sehen für das, was er meinen Eltern angetan hat. Und sie werden mich nicht daran hindern", forderte sie den Detective heraus.
Diese nahm ihre gesenkte Waffe wieder hoch und richtete sie direkt auf Felicias Brust. "Ich fürchte, das kann ich nicht zulassen."
Erneut hallte ein verzerrtes Lachen durch Queens. Felicia gab bewusst langsam die Kontrolle wieder ab. "So viel zum friedlichen Weg. Wie auch immer, sie sollten sich der Wahrheit stellen: Das ist Gerechtigkeit! Ich bin sein Richter und er hat nichts anderes als den Tod verdient."
Anschließend folgte ein dröhnender Schrei der Bestie, die sich wieder vollkommen dem Körper der Weißhaarigen bemächtigt hatte. Sie rümpfte kurz ihre Nase und sprang dann auf Lee zu. Diese zögerte nicht einen Bruchteil einer Sekunde und drückte ab. Krachend entlud sich ein Schuss. Die Kugel traf genau in Felicias Schulter und schleuderte ihren Körper zur Seite. Vor Schmerz brüllend landete sie in dem kurz gemähten Rasen. Blut floss aus der Wunde und tauchte ihr T-Shirt in ein dunkles rot. Lee stand über ihr und richtete die Waffe auf die Teenagerin.
"Keine Bewegung, Ms. Hardy!", brüllte sie autoritär. Doch Lee verkannte die Situation. Nicht Felicia sondern die Bestie blickte in den Lauf der Waffe und verletzte Tiere reagieren immer aggressiv und gewalttätig, wenn sie in die Ecke getrieben werden. Die Bestie dachte nicht rational. Ihre Gedanken waren erfüllt von den Schmerzen, die in Wellen durch ihren Körper rollte. Und so reagierte sie auch. Blitzschnell und ohne jegliche Chance für Lee sich zu bewegen packte sie die Knöchel des Detectives und riss ihr den Boden unter den Füßen weg. Während Lee schmerzhaft die Bekanntschaft mit der harten Erde machte und dabei ihre Pistole losließ, die an den Rand des Grundstücks flog und vor dem Zaun liegen blieb, rappelte sich die Bestie keuchend wieder auf und torkelte vor Schmerzen halb besinnungslos weg von der Szenerie, weg von dem hell erleuchteten Hauseingang, weg von Lee und ihrer Pistole. Blut tropfte in regelmäßigen Abständen auf den Asphalt und Felicias Körper wankte heftig. Es wirkte, als würde sie im nächsten Moment hinfallen. Doch das Amulett verlieh ihr außergewöhnliche Kräfte. Felicia gewann wegen all den Schmerzen wieder die Oberhand und war vollkommen fertig. Ihre Gedanken waren das reinste Chaos. Das hatte sie alles nicht gewollt. Lee hatte ihr nie etwas getan und wollte nur helfen. Nur Scott war ihr Ziel gewesen, er hatte es verdient. Doch mit Lee hatte sie erneut einen Unschuldigen verletzt und so konnte das nicht weitergehen. Das musste aufhören. Felicia biss heftig die Zähne zusammen, um vor Schmerzen nicht laut los zu schreien. Sie hatte viel Blut verloren und schwitzte heftig. Ihr Blick war jedoch eisern nach vorne gerichtet. Sie brauchte einen Ort zum Nachdenken und immer wenn ihr Leben komplizierter war, als es eigentlich sein dürfte, besuchte sie ihre Eltern. Und das würde sie auch jetzt tun. Wohl wissend dass die Bestie in ihr lauerte und nur darauf wartete wieder an die Oberfläche zu kommen.
Eine halbe Minute später löste Peter ein chemisches Netz von seinem Netzwerfer und landete sicher neben dem immer noch einen breiten Lichtkegel werfenden Scheinwerfer. Mit einer schnellen Handbewegung erlosch das Licht. Der junge Held setzte den afroamerikanischen Detective auf und lehnte Lee gegen die Tür des Polizeiwagens. Ihr Gesicht war bedeckt von Erdflecken und ein schmalen Schnitt zierte die rechte Wange. Er tätschelte ihre Wange. Lee wirkte wie in einer Art Dämmerzustand. Weder bewusstlos noch richtig wach. Zuerst begann sich ihre linke Hand zu rühren. Dann drückten sie ihre Lider heftig zusammen und öffnete die Augen.
"Lee, ist alles in Ordnung mit Ihnen?", fragte Spider-Man besorgt. Das war seine Schuld. Er hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen. Deshalb musste er es auch beenden, aber dafür musste er wissen wo Felicia war und wie er sie überhaupt aufhalten konnte.
"Ja", presste Lee hervor und hustete heftig. "Sie hat mich ordentlich erwischt."
"Wo wollte sie hin?"
"Keine Ahnung, aber meine Männer sind an allen Wohnorten der Personen auf Felicias Abschussliste positioniert."
"Das wird die Kristallbestie wohl kaum abhalten", murmelte er vor sich hin. Laut erwiderte er: "Können Sie mir sonst etwas sagen, ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?"
"Nicht wirklich, außer, dass sie sehr verwirrt wirkte. Sie und dieses Ding in ihr scheinen auf keinen gemeinsamen Nenner zu kommen und das merkt man auch. Es war als würde in ihrem Kopf das reinste Chaos herrschen."
"Danke", sagte Peter hastig und lief bereits los. "Sie haben mir sehr geholfen!"
Dann schoss er ein Netz an den Querbalken der nächstgelegenen Laterne und schwang sich davon. Der Wind brachte sein imaginäres Cape zum Flattern, er spürte sofort die Kälte, die von ihm ausging. Aber zumindest hatte er jetzt ein Ziel: Der Friedhof. Denn das von Lee Gesagte hatte ihn an etwas erinnert, dass ihm Felicia bei ihrer ersten Begegnung gesagt hatte.
"Aber ich habe das Grab meiner Mutter besucht und zufällig dein Gespräch mitangehört. Ich komme oft hierher, um nachzudenken und mir über das Chaos in meinem Leben klar zu werden", hatte sie ihm erklärt. Bestie hin oder her, dieser Ort war immer noch besonders für sie und dort würde er sie finden, da war der schwarz-rote Held sich sicher. Diesmal würde er nicht zu spät kommen, diesmal würde er eine ihm nahe stehende Person retten. Sein Versagen würde sich nicht wiederholen. Ich rette dich Felicia!
Peter hatte Recht behalten. Felicia kniete, trotz mehrmaliger Versuche des Abnehmens die Kette mit dem glühenden Kristall tragend, vor dem Grab ihrer Mutter. Die Erde war weich von dem Regen in der Nacht von gestern auf heute. Moira Queen stand auf einem gräulichen Grabstein, darunter ihre Lebensdaten und der Schriftzug "Geliebte Ehefrau, Mutter und Schwester". Felicia fielen die schneeweißen Haare ins Gesicht, sie
hatte ihr Gesicht in ihren menschlichen Fingern vergraben und weinte.
"Es tut mir Leid, Mom. Ich werde dich immer nur enttäuschen. Ich habe diese Menschen verletzt, ich habe Unschuldigen weh getan, dabei sollte es nur den Mitschuldigen an deinem Tod treffen. Wie kann ich das nur je wieder gut machen?"
Da legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Erschrocken drehte Felicia sich um und blickte in die ausdruckslose Maske von Spider-Man.
"Du!", zischte sie.
"Ich wusste doch, dass ich dich hier finde", sagte Peter mit beruhigender Stimme. Beschwichtigend hob er die Hände als Felicia aufstand und sich in Sicherheit brachte. "Nichts liegt mir ferner als dir etwas zu tun. Vertrau mir, Felicia."
"Du hast mich den Cops auf dem Silbertablett präsentiert und mir diese Kette abgenommen, was mich sie wie eine Süchtige suchen und klauen ließ und die mich, sofern ich sie nicht trug, langsam getötet hat. Nennst du das etwas nichts tun?", dann hielt sie plötzlich inne. Ihre Augen vergrößerten sich vor Unglaube. "Nur zwei Leute wussten von diesem Ort. Ich und..."
"Ich", unterbrach Peter seine Freundin und zog seine schwarz-rote Maske mit den großen weißen Linsen vom Gesicht. Felicias Augen wurden noch größer und Peter glaubte sie würden aus ihren Höhlen treten. Der Held ging sich kurz durch das von der Maske zerzauste Haar.
"Du bist Spider-Man", stellte die ehemalige Blondine fest.
"Ja, das bin ich und ich wollte dir immer nur helfen."
"Peter, ich habe versucht dir zu helfen, aber ich kann mir nicht einmal selbst helfen. Dieses Wesen in mir wird angetrieben von meinem Hass und davon habe ich zu viel", erklärte Felicia niedergeschlagen. "Und diese Kette kann ich nicht abnehmen, es geht einfach nicht. Dieses Mistding wird mich bald wieder kontrollieren und dann werden wieder Menschen sterben. Oh Gott, Peter, ich habe das alles nicht gewollt."
"Ich weiß Felicia", versuchte der junge Held sie zu beruhigen und nahm sie in den Arm. Ihre leicht sonnengebräunten Armen umschlangen ihn sofort und sie legte ihren Kopf auf seine Schulter. Sein Kostüm war an einer Schulter bereits voller But. Tränen flossen ihr wie kleine Bäche die Wangen herunter. Peter strich ihr sanft durch das lange Haar, um sie zu beruhigen.
"Alles wird gut, Felicia. Ich werde dir helfen, wir schaffen das."
Felicia löste sich aus der Umarmung und schaute Peter mit Augen voll unendlicher Traurigkeit an. "Nein, das werden wir nicht. Ich bin ein Monster. Ein Drache, du bist der Ritter. Du weißt, dass ich trotz aller Bemühungen wieder morden werde, ob es nun gegen meinen Willen passiert oder nicht. Ich bin eine verlorene Seele. Bitte, Peter."
"Felicia, was redest du da? Ich werde...", Peter beendete den Satz abrupt, als ein Auto vor dem Friedhofseingang hielt. Ein blau-weißer Polizeiwagen. Schnell setzte er sich wieder die Maske auf sein Gesicht. Bereits von Weitem erkannte er den Trenchcoat von Lee, die mit gezückter Waffe auf das Eingangstor zu lief. Felicia sah sie ebenfalls und als Peter sich umdrehte, um ihr zusagen, dass sie laufen solle, schaute er direkt in ein böses Funkeln. Ihre Ohren wurden wieder länglich und ein wenig schmaler, ihre Finger zu Krallen und ihre Pupillen zu schmalen Schlitzen.
"Du hast mich verraten!" schrie die verzerrte Stimme der Bestie, packte Peter, der trotz Spinnensinn nicht reagieren konnte und schleuderte ihn in hohem Bogen davon. Peter krachte gegen einen Grabstein, schrie auf und brach ihn in zwei. Anschließend blieb er kurz liegen. Nur kleinere Schmerzen schossen durch seinen Rücken. Als er stöhnend aufstand, sah er, wie die Bestie fauchend Lee gegenüberstand und diese ihre Waffe unbeirrt auf sie gerichtet ließ.
"Ganz ruhig, wir können das auf andere Weise klären", brüllte Lee.
"Du hast auf mich geschossen" dröhnte die Kristallbestie und ging auf alle viere runter. Im nächsten Moment schon preschte der besessene Körper von Felicia los. Peter sah verzweifelt, wie Lee begann den Abzug herunterzudrücken. Felicia war noch etwa 10 Meter entfernt, Lee hatte den silbernen Abzug beinahe durchgedrückt. Er musste sich nun innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde entscheiden. Und er entschied sich für Felicia. Nachdem er zwei Mal kurz den Netzwerfer beättigte, schossen zwei Netze auf Lee zu. Während das erste sie erreichte und wie geplant den Lauf der Pistole verdeckte, schoss Peter ein langes Netz auf Felicia zu. Lee traf das zwei Netzbündel an den Augen und verbreitete sich beim Aufprall auf der ganzen Stirn bis zum Nasenansatz. Vollkommen panisch begann Lee in Todesangst vor Felicia mit ihren Fingern an dem Netz zu kratzen und versuchte daran zu reißen. Doch die zähe Masse blieb dort wo sie ist. Gleichzeitig zog Peter an dem Netz, was an Felicias Knöchel kleben geblieben war. Der Druck aus einer komplett anderen Richtung riss Felicia unkontrolliert zur Seite. Wie von einer unsichtbaren Macht getroffen krachte sie schmerzhaft in einen an eine Gräberreihe angrenzenden Baumstamm. Dieser bekam leichte Risse, doch die Bestie stand als wäre nichts gewesen und brüllte ihre Schmerzen heraus. Ihre gelb glühenden Augen starrten Peter erbittert an. Er wusste auch ohne Spinnensinn, was das heißt: Attacke! Sofort verfiel Felicia wieder in den animalischen Lauf und rannte auf Peter zu. Dieser wartete ab. Als der Spinnensinn klingelte, war Felicia etwa 2 Meter entfernt und setzt zu einem Sprung an. Peter hechtete instinktiv zur Seite, obwohl seine Strategie "Netz auf die Augen und Tritt in die Magengrube" gewesen war, doch da hatte er sich verrechnet. Er kam nicht mehr zum Abrollen auf der Grasfläche, denn die Bestie streckte ihre Arme aus und riss ihn mit. Beide landeten unsanft auf dem Rasen und rutschten ein wenig, bis sie zum Stillstand kamen. Die Bestie hatte den Aufprall besser als Spider-Man verarbeitet, der keuchend auf dem Gras lag, denn sie stand über ihm und hob ihre geballte Faust.
"Das ist dein Ende, Verräter", sagte die Bestie und im nächsten Augenblick raste die Faust mit einer unfassbar hohen, unmenschlichen Geschwindigkeit auf Peters Kopf zu. Dieser riss seinen Kopf im letzten Moment zur Seite und die Faust prallte ungebremst auf die harte Erde. Auf die Schmerzen reagierte die Kristallbestie gar nicht, doch Peter sah seine Chance gekommen. Er ließ seinen Fuß in ihre Seite krachen und rappelte sich schnell auf, als die Bestie zur Seite geschleudert wurde. Die Bestie stand schneller als sie gefallen war und ihr Blick spiegelte nicht gerade Freundlichkeit wieder. Ein Plan musste her! Schnell! Der Schweiß trat, teilweise aus Anstrengung teilweise aus Furcht, aus allen Poren. Da kam ihm die rettende Idee. Spider-Man machte auf dem Absatz kehrt und rannte von der Bestie weg, einen Hang hinab. Das Felicia kontrollierende Wesen reagierte jedoch genauso schnell und preschte ihm hinterher. Die Szenerie hatte sich leicht geändert. Peter stand nun vor einem rauschenden Fluss, der nahtlos an die etwas tiefer liegenden Gräber grenzte (natürlich mit Abgrenzung). Der Boden bestand immer noch größenteils aus harter Erde, vereinzelt Gras und Unkraut. Und auf ihm standen die beiden Kontrahenten sich gegenüber. Die Bestie mit einer klaffenden Schulterwunde, die immer noch blutete, aber dennoch aufrecht stehend und auf der anderen Seite Peter, dessen Seite aufgerissen war und stark blutete, und der sich nur noch dank purer Willenskraft wankend auf den Beinen hielt. Doch dem ächzenden Peter war keine Verschnaufpause gegönnt. Sofort ging die Bestie wieder zum Angriff über und lief auf Peter zu. Trotz seiner Schmerzen musste der Schüler unter der Maske grinsen. Das lief doch nach Plan. Die Bestie erreichte ihn und setzte zum Schlag an. Peter duckte sich schnell genug, sodass die Pranke über ihn hinweg schoss. Mit letzter Kraft packte er Felicia an der Hüfte, drehte sich und schleuderte sie mit einem lauten Aufschrei in Richtung Fluss. Seine Muskeln brannten, er schwitzte stark und während er erschöpft auf die Knie fiel, schoss Felicia ohne eine Möglichkeit das zu ändern auf den kalten Fluss zu. Und zum ersten Mal las Peter etwas in den Augen der Bestie, das ihm wie Angst vorkam. Ihrem Aufprall folgte eine große Fontäne. Und Peter bekam die erwartete Reaktion. Felicia´s Augen wurden gelber, das Glühen schwoll an. Erst als ihre Augen wie Scheinwerfer glühten, versiegte das Licht augenblicklich. Felicias Augen nahmen eine normale Farbe an, ihre tierischen Ausprägungen bildeten sich langsam zurück. Doch sie trieb nun bewusstlos auf dem Meer und tauchte bereits im nächsten Moment ohne sich zu rühren unter. Das war nicht Teil des Plans gewesen. Vollkommen fertig rappelte sich Peter noch einmal auf, holte tief Luft und sprang seiner Freundin hinterher. Die Luftblasen, die aus ihrem Mund entwichen, wurden immer kleiner, als Peter sie erreichte. Er umschlang ihre Hüfte und zog sie mit seinen allerletzten Reserven nach oben. Er schaute nicht nach rechts und links, nur auf das schwache Licht der untergehenden Sonne auf der Wasseroberfläche. Nach Luft japsend tauchte er wieder auf und schwamm mit der bewusstlosen Felicia aufs Festland zurück. Dort legte er sich erschöpft neben die ehemalige Blondine auf das schmale, steinige Ufer. Er beugte sich über die Blondine und riss ihr die Kette mit einem Ruck vom Hals. Anschließend fiel er wieder auf seinen Rücken zurück. Also war er dieses Mistding auch los. Das Gefühl in Armen und Beinen hatte er größenteils verloren, die Eiseskälte des Flusses hatte ihm auch nicht dabei geholfen. Gierig sog er die Luft ein. Für den improvisierten Plan musste er sich selbst auf die Schultern klopfen. Wobei die Lösung eigentlich die ganze Zeit förmlich darauf gewartet hatte von ihm erkannt zu werden. Katzen waren wasserscheu und deshalb hatte die Bestie bzw. der Kristall die Kontrolle über Felicia verloren. Das zweite Monster, was er nun schon besiegt hatte. Wie viele mochten noch kommen? Mit Schaudern dachte der junge Held an den immensen Schaden, die diese Wesen anrichten konnten. Ein weiteres sehnte er nicht gerade herbei. Doch auch dieser Gefahr würde er sich stellen. Wenn sie sich nur nicht immer Menschen als Wirten aussuchen würden, wäre die Sache auch einfacher. Das Wichtigste im Moment war jedoch, dass Felicia in Sicherheit war. Er hatte sie gerettet, er hatte nicht versagt. Es hatte nicht wieder jemand sterben müssen.
Am selben Abend noch führte Peter ein Gespräch mit Felicia und seiner Tante. Sie standen vor dem Esstisch, die Lampe über diesem erhellte die Küche und das Wohnzimmer, da es draußen bereits stockduster war. Peter trug selbstverständlich nicht mehr den hautengen Dress und Felicia hatte sich ebenfalls umgezogen, da ihre Sachen voller Dreck und total durchnässt gewesen waren. In der spärlichsten und knappesten Auskunft, die Peter über Felicia geben konnte, ohne sie mit einer Bestie, der Black Cat oder Spider-Man in Verbindung zu bringen, hatte er sie seiner Tante vorgestellt. Seine Tante schien leicht ergriffen von dem Schicksal des Waisenkindes.
"Und das war die Kurzbeschreibung von ihr. Ich wollte dich fragen oder vielleicht eher bitten, dass sie hier schlafen kann. Ich meine, dass Gästezimmer steht seit Ewigkeiten leer. Sie ist eine tolle Zuhörerin, hat mir mit Onkel Ben geholfen und na ja, sie hat im Moment kein Dach über dem Kopf", sagte Peter.
Ehe May antworten konnte, fügte Peter scherzhaft noch hinzu: "Du wirst sie gar nicht merken, sie ist wie eine Katze."
"Hey!", unterbrach ihn Felicia mit gespielter Entrüstung.
"War ja nur ein Scherz", beschwichtigte Peter sie. "Werd jetzt bloß nicht zur Bestie."
Spaßeshalber boxte Felicia ihn leicht. "Ich lache innerlich." Dann wandte sie sich Tante May zu: "Und es ist auch nicht für immer. Sobald ich meinen Dad gefunden habe, sind Sie mich los."
May schaute sie mit gütigem Blick an. Sie sah, wie sie Peter aus seiner Trauer und seinem Panzer lockte. Sie tat ihm gut und genau so jemanden brauchte diese zerrüttete Familie im Moment. Das Einzige, was sie noch etwas verwunderte, waren die weißen Haare, aber wer wusste, was es damit auf sich hatte. "Das ist schon in Ordnung. Eine Freundin von Peter ist hier jederzeit gerne willkommen. Du kannst so lange bleiben, wie du möchtest."
Felicias Gesichtsausdruck sprach Bände, sie war vollkommen baff. In diesem Haus strömte einem so viel Liebe gegenüber, ganz anders als die Kälte und Ablehnung, die sie ihr Leben lang hatte ertragen müssen. "Wow, Mrs. Parker. Vielen Dank. Ich weiß nicht, was ich sagen soll", sagte sie mit wässrigen Augen.
"Nichts", erwiderte Tante May. "Das ist selbstverständlich." Dann verließ sie den Raum, um aus dem Schlafzimmer Bettzeug zu holen und das Bett des Gästezimmers vorzubereiten. Felicia fiel Peter dankbar um den Hals. Er umarmte sie auch.
"Vielleicht können deine Wunden hier heilen", sagte er lächelnd. Felicia lächelte glücklich. Vielleicht konnten sie das, vielleicht konnte sie hier endlich mit ihrer Vergangenheit abschließen.
Am frühen Morgen des nächsten Tages stand Peter an den Kais, die fernab der Lagerhäuser lagen und schaute auf den Fluss, der wie jeden Tag hier entlang floss. Um hierhin zu fahren, hatte er seine zwei Freistunden genutzt. Sein braunes Haar wehte leicht im Wind, seine Hände hatte er in dunkelblauen Jackentaschen vergraben. Mit der linken Hand umschloss er den farblosen Kristall, der einstmals in der Kette gesteckt hatte. Mit letzterer hatte er kurzen Prozess gemacht. Mitder Hilfe von Felicia hatte er herausgefunden, dass der Kristall wie der des Man-Wolf war, aber die Kette löste als eine Art Resonanzkörper die Sucht aus. Aus diesem Grund hatte Peter sie im Chemielabor von einem Bunsenbrenner verflüssigen lassen und dann entsorgt. Der Kristall war unzerstörbar, egal was er probiert hatte, das Ding hatte nicht einmal einen Kratzer. Was er auch noch festgestellt hatte war, dass die Kristalle andere Gefühle verstärkten. Der von Jameson hatte seine Gelüste, sein Verlangen verstärkt, der von Felicia ihre Rachsucht und ihren Hass. Doch eines hatten sie gemeinsam, wenn sie Peter sahen, gingen sie auf ihn los, mit der Intention ihn zu töten. Die größeren Zusammenhänge waren ihnen beiden unbekannt. Aber es war auch egal. Leicht frierend zog er seine Hand aus der Tasche und schaute sich den Kristall noch einmal an. Er sah perfekt geschliffen aus und hatte eine makellose Oberfläche. Aber der Schüler ließ sich von der Schönheit nicht beirren. Er holte weit aus und schleuderte den Kristall in einem hohen Bogen fort, wobei er sich wie Clark Kent fühlte. Er sah wie er 40 Meter entfernt ins Wasser eintauchte und auf den Meeresboden sank. Zufrieden steckte er seine Hände wieder in die Jackentasche und machte sich auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle. Was er allerdings nicht mitbekam, war das Paar Augen, zu dem auch weiße lange Haare gehörten, die ihn aus dem Schatten eines Krans beobachtet hatten.
In der Mittagspause, zu der Peter aufgrund von Ausfällen und Freistunden erst kommen musste, bestieg er gerade den kurzen Treppenabschnitt, der ins Gebäude führte, als eine weibliche Stimme seinen Namen rief. Er drehte sich um und sah Liz, die auf ihn zu rannte, den Rucksack geschultert. Voller Verwunderung sah er Liz an, als sie näher kam. Ihr Haar war gewaschen und ordentlich gekämmt, ihre Augen wirkten lebendig und fröhlich. Grinsend grüßte er zurück.
"Hey, Liz. Du siehst aber erholt heute aus."
Verlegen kratzte sich die blonde Schülerin am Hinterkopf. "Na ja, anders auszusehen, als dieses vor sich hin vegetierende Etwas, das ich auf Memoria war, ist recht leicht. Natürlich sehe ich immer noch fertig aus und das wird auch nicht so schnell weggehen, bis mein Körper das ganze Gift abgebaut hat, dauert es mit Sicherheit noch, aber ich denke Pflege ist der erste Schritt."
Peter war vollkommen überrascht. "Das ist toll, wirklich! Freut mich, dass es dir wieder besser geht."
"Und das verdanke ich dir. Was du vorgestern getan und gesagt hast, hat mich wachgerüttelt. Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt, um mich zu beschützen und ich dumme Kuh versuch das Zeug von der Erde aufzuschlürfen. Ich war so unverantwortlich. Die Partys werden ab sofort aufhören, ich werde mich um die Schule kümmern und darüber hinaus denken. Danke, dass du verhindert hast, dass ich mein Leben weggeworfen habe."
Peter ging sich geschmeichelt durchs Haar und entgegnete: "Du hast deinen Vater wiedersehen wollen. Wieso? Wer war er?"
"Ist. Er lebt noch. Er ist gegangen, als ich noch klein war. Meine Erinnerungen an ihn sind rar gezählt und mit dieser Droge konnte ich mein Gedächtnis ankurbeln und ihn so sehen, wie er damals war. Bei uns ist das ein Tabuthema. Meine Mutter redet nie über ihn. Sein Vorname ist Curtis, das ist das Einzige, was ich weiß. Und auch das habe ich nur durch Zufall erfahren, denn vor drei oder vier Jahren habe ich meine Mutter beim Weinen erwischt. Sie hat immer wieder gesagt: `Warum, Curtis? Warum hast du deine Familie gegen deine Forschung eingetauscht?` Aber keine Sorge, ich habe meine Lektion gelernt. Keine Drogen. Keine verpfuschte Erinnerung war ein so hohes gesundheitliches Risiko wert. Doch dafür musste mir erst einmal jemand die Augen öffnen." Sie beugte sich vor und küsste Peter auf die Wange. "Du hast etwas gut bei mir, Peter."
Sie ging in den Flur des Schulgebäudes, in das auch Peter eine Minute später trat. Sein Lächeln, seine Freude darüber, dass er Liz´ Leben zum Besseren gewendet hatte war verflogen. "Das Risoko nicht wert?", wiederholte Peter das von Liz Gesagte. "Du hast keine Ahnung wovon du redest."
Mit grimmigen Gesicht sah er , dass MJ auf ihn zu ging. Ihr roter Haarschopf war unter Tausenden zu erkennen. Sie blieben voreinander stehen und wirkten beide unschlüssig über das, was sie sagen sollten.
"Gut, dass ich dich gefunden habe", begann die Rothaarige dann. " Ich muss mich bei dir entschuldigen. Mir hat der nötige Feinsinn gefehlt, es tut mir Leid, dass ich dich derart beleidigt habe."
Das zauberte Peter, wie es die Schülerin oft tat, erneut ein Grinsen aufs Gesicht. "Du entschuldigst dich bei mir? Ich muss mich entschuldigen, aber du doch nicht. Ich habe mich wie der letzte Arsch benommen und das tut mir Leid. Ich habe vor vier Tagen jemanden getroffen, der im Grunde genommen genauso voller Zorn gewesen ist wie ich, voller Hass. Praktisch mein Spiegel. Was aus mir werden wird, wenn ich weiter alleine bleibe und alles in mich hineinfresse. Aber das ist nicht der Punkt. Denn ihr Fall hat mir gezeigt, dass das Verweilen in der Vergangenheit mich innerlich verzehrt, bis ich mich komplett isoliert und abgekapselt habe. Ich würde verbittert und einsam enden und das kann in keinem Interesse sein."
"Da hast du absolut Recht", sagte Mary Jane verständnisvoll.
"Und ich habe meine Lektion gelernt. Selbst wenn ich meine Rolle in der Welt als Spider-Man akzeptiere, so habe ich dennoch zu viele sterben lassen."
"Peter..."
"Nein, Mary Jane, genauso ist es gewesen", unterbrach der junge Held sie. "Ich habe Held gespielt, die Sachen auf die leichte Schulter genommen und nicht über die Konsequenzen nachgedacht. Doch Fakt ist, dass jede Tat Konsequenzen hat. Das habe ich endlich verstanden . Und mit diesem Wissen will ich nun versuchen der Held zu werden, den mein Onkel und Gwen längst in mir gesehen haben."
MJ nickte, auch sie lächelte jetzt. "Ich habe gehofft, dass du dich wieder besinnst. Denn du bist ein Held und solltest immer bleiben. Kleiner Themenwechsel. Ich war auf dem Weg zur Cafeteria. Willst du mitkommen?", fragte sie Peter.
Peter überlegte nicht lange und stimmte zu. Tante May hatte ihn bereits bis zum Platzen genährt und dennoch hatte er eine Chance mit MJ zusammen zu sein und mit ihr zu reden. Auf dem Weg dorthin, begann zu erzählen: "Du kennst doch Felicia, oder? Die Blondine, die bei uns eingezogen ist?"
"Ja, natürlich. Du meinst die mit den weißen Haaren?"
"Genau, das ist Felicia. Sie wird ab nächste Woche auch auf die Midtown High gehen."
Mary Janes Gesicht wirkte als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Ihr stieß das leicht auf. Sie hatte das Mädchen gesehen. Sie war sehr hübsch. Und wohnte auch noch bei ihm. "Du weißt wirklich, was du wann sagen musst, Peter", erwiderte sie leicht beleidigt.
Peter runzelte unwissend die Stirn. "Habe ich was Falsches gesagt?"
"Du magst sie wirklich, oder?", fragte Mary Jane leise.
Jetzt verstand Peter. Sie war eifersüchtig. Also empfand sie doch immer noch etwas mehr für ihn. Er antwortete: "Sie ist nur eine Freundin. Sie ist ... sie ist keine Mary Jane Watson."
Die Rothaarige strahlte über das ganze Gesicht, was Peter jedoch nicht sehen konnte, da er geradeaus schaute, damit MJ nicht sah, dass er rot wurde. Geschmeichelt setzte MJ mit Peter den Gang zum Mittagessen fort. Damit war er die schwerste und letzte Entschuldigung durch und zum Glück hatten ihm jeder verziehen.
"Was für Konsequenzen wird es für Felicia geben?", fragte Spider-Man im schwarz-roten Kostüm Detective Lee. Sie befanden sich im Büro der afroamerikanischen Polizisten, das Peter natürlich über das Fenster betreten hatte.
"Ich versuche zu erwirken, dass sie straffrei bleibt und sonst nichts fürchten muss", antwortete Lee und ließ Peter damit einen Stein vom Herzen fallen. "Denn es war nicht ihre Schuld und im Gegensatz zu Jameson hat sie keine Karriere als Serienkiller angefangen. Ich habe mich für eine Entlastung ausgesprochen. Sie ist frei zu tun, was immer ihr beliebt."
"Ich bin Ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet, Detective."
"Keine Ursache, aber dennoch müssen wir uns unterhalten, denn deine Egoaktionen gehen so nicht. Wenn du meine Dienstmarke nicht gebraucht hättest, wüsste ich immer noch nichts von Felicia. Nur wenn sie jemanden umgebracht hätte. Und, Spider-Man: Nimm mir noch einmal die Sicht und ich lasse dich wegen Behinderung der Justiz einsperren. Selbst für Superhelden gibt es Regeln."
Spider-Man nickte zwar, war jedoch kein bisschen einsichtig. Er hatte Felicia beschützt. Vor dem Kristall und der Polizei. Er würde nie mehr die Leben anderer in die Hände der Polizei geben. Carnage hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. So viel Inkompetenz hatte er selten erlebt. Spider-Man wollte den nüchtern und zweckmäßig eingerichteten Raum gerade verlassen, als er sich schmunzelnd noch einmal umdrehte.
"Aber wir sind alles in allem kein schlechtes Team, was?"
Lee drehte sich mitsamt dem Drehstuhl um, doch anstelle von Peter blickte sie auf ihre Scheibe und hörte nur noch das Fauchen der Luft, die durch das offene Fenster kam. Als es klopfte fuhr sie wieder herum und ein Detective ihrer Einheit trat ein. Er trug Hemd und Jeans, seine Marke baumelte an einer Kette hängend an seinem Hals herunter. Seine Glatze glänzte im künstlichen Licht der Deckenlampe.
"Haben Sie mit jemandem geredet? Störe ich?"
Lee winkte ab und ging sich müde über die Augen. "Unwichtig. Was haben Sie für mich, Roy?"
"Sie haben mich doch gebeten eine Bestandsliste zu machen. So, folgendes Problem: Wenn wir der einheitlichen Aussage der Dealer glauben, dann fehlt eine Kiste mit der Memoria Droge aus dem Lagerraum."
"Irgendwelche Hinweise?"
"Nein, es waren ja alle bewusstlos. Der einzige Verdächtige wäre Spider-Man..."
"Das ist komplett abwegig!", fuhr im Lee dazwischen. "Das würde er niemals tun."
Der Detective würden den Helden New Yorks nicht derart überzeugt verteidigen, wenn sie wüsste, dass in Peters Schrank, versteckt unter den gestapelten Hosen und Pullover eine Kiste mit der Aufschrift Memoria stand in der sich Ampullen mit grünlicher Substanz befanden.
Der Mond stand am Himmel und beleuchtete wie bereits beim ersten Mal, wobei es da die Sonne gewesen war, die Stelle an den Kais, an der sich Felicia und Chamaeleon getroffen hatten. Und auch in dieser Nacht trat die Diebin in Leder in das Licht und ein paar Minuten später tat ein Mann es ihr gleich. Er trug eine Winterjacke, die Nächte waren obwohl es bereits Frühling war noch recht kalt (der Mann übertrieb jedoch) und eine schwarze Mütze. Seine Frisur hatte sich erneut geändert und war dieses Mal kurz und rothaarig. Sein Gesichtszüge wirkten auch weicher, dennoch erkannte Felicia ihn sofort wieder, da die Krallen Narben hinterlassen hatte. Dies hatte sein Immunsystem und seinen Metabolismus verändert, da sich ein Teil seines Körpers nicht mehr beliebig ändern kann, weshalb ihm so kalt war und er trotz dicker Klamotten immer noch fror.
"Schön, dass Sie kommen konnten Ms. Hardy", begrüßte der Handlanger von AT die weißhaarige Diebin wobei sein Atem gefror.
"So lange die Bezahlung stimmt", lenkte Felicia sofort aufs Thema. "Wie abgesprochen?"
"Ja, das Doppelte ihres letzten Honorars in Scheinen und Bar", bestätigte Chamäleon und öffnete den silbernen Koffer, den er in der rechten, behandschuhten Hand hielt. Mit leuchtenden Augen betrachtete Felicia die Unmengen an Scheinen und holte ihrerseits den Kristall aus ihrem Rucksack, trotz der Deaktivierung mit Handschuhen. Einen Wassertropfen auf der glatten Oberfläche wischte sie schnell weg. Sie nahm gleichzeitig das Geld entgegen und gab den Stein weg. Chamäleon tippte sich an den imaginären Hut und verschwand, während Felicia zufrieden in die andere Richtung ging. Damit hatte AT, der mysteriöse Strippenzieher im Hintergrund, bereits zwei Kristalle und kam seinem Ziel immer näher. Felicia hatte Peter durch ihre Gier in große Gefahr gebracht. Sein Grab ist bereits ausgehoben und er steht mit einem Fuß drin, dachte Chamäleon. Jetzt musste er sich nur noch hineinlegen.