DER KOLOSS

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Kai "the spy"
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DER KOLOSS

Beitrag von Kai "the spy" » So 23. Nov 2008, 19:04

Hallo allerseits,
seit zwei Ausgaben ist im größten deutschen Monster-Fanzine PRANKE meine Henshinreihe DER KOLOSS zu lesen. Für jene Leser, welche die bisherigen Ausgaben verpasst haben, eine Chance zum Einstieg in die Reihe zu bieten veröffentliche ich nun sowohl drüben im PRANKE-Forum wie auch hier die Geschichten, die nicht mehr in der jeweils aktuellen PRANKE enthalten sind.
Rechtlicher Hinweis: Alle Rechte an der folgenden Geschichte und den darin enthaltenen Figuren und Ereignissen liegen bei Kai Brauns. Reproduktion, auch in Teilen, nur mit Genehmigung des Rechteinhabers erlaubt.

DER KOLOSS
#1: Larger than Life
von Kai Brauns

Eiji Tsuburaya gewidmet.
Dr. Hatori Mafune trat aus dem Aufzug in den kleinen Kontrollraum. Er trug einen schwarzen Anzug, was im krassen Gegensatz zu den anderen Wissenschaftlern in dem kleinen Raum stand, welche allesamt weiße Laborkittel trugen. Das lag daran, dass Mafune als Firmenvorstandsvorsitzender nur noch selten im Labor war, meist nur noch, um sich über den Stand der Dinge auf dem Laufenden zu halten. Ansonsten war er nur noch in seinem Büro, im Hauptgebäude der GEN-U-TECH GmbH.
Mafune wandte sich an den Projektleiter, Dr. Simon Foss. Foss war etwa zwei Jahrzehnte jünger als Mafune und im Gegensatz zu seinem Chef in Deerenstadt, wo der Hauptsitz der Firma lag, geboren. „Wie geht es dem Prototyp?“ wollte Mafune wissen und strich sich dabei über seinen grauweißen Schnurrbart.
„Es läuft alles, wie geplant, Dr. Mafune,“ antwortete Foss. „Wenn es weiterhin so läuft wird es planungsgemäß am Freitag schlüpfen.“
„Sehr gut,“ sagte Mafune. Er blickte durch das große Sichtfenster hinaus in die große Halle, auf das gigantische Ei, welches dort lag.

Jörg Stein saß auf den Stufen zur Universität von Deerenstadt und las Immanuel Kant. Es war ein sonniger Tag im Juli. Jörg war ein junger Philosophiestudent, intelligent und in relativ guter Form. Er war gerade an der Stelle angelangt, an der Kant darauf hinwies, dass der Mensch weder gut noch böse, sondern gar kein moralisches Wesen sei, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er sah auf und blickte in das bekannte Gesicht von Elizabeth Garrison.
„Hey, wie geht’s?“ fragte die Kanadierin mit ihrem exotischen Akzent und einem weißen Lächeln, welches einen wunderschönen Kontrast zu ihrem dunkelhäutigen Gesicht bildete.
Jörg erwiderte das Lächeln. „Gut, danke! Und dir?“
Liz nickte nur und blickte auf das Buch. „Es ist so ein schöner Tag, du hast keine Vorlesung… Hast du da nichts Besseres zu tun, als ein so anspruchsvolles Buch zu lesen?“
Jörg lachte. „Naja, es ist eben recht interessant!“ Dann warf er ihr einen vielsagenden Blick zu und fügte hinzu: „Aber wenn du eine bessere Idee hast, ich bin aufgeschlossen.“
„Wie wäre es mit einem Eiskaffee und ein bisschen Smalltalk?“
„Worauf warten wir noch?“ fragte Jörg mit einem Grinsen.
Plötzlich warf sich ein Schatten über sie. Jörg wandte sich um und sah seinen besten Freund Eiji. „Jörg, ich muss mit dir sprechen,“ sagte Eiji mit ernster Miene.
„Eiji, wir wollten gerade…“
„Unter vier Augen!“ fügte der Student aus Japan hinzu.
Jörg zögerte, wandte sich dann an Liz. „Es wird sicher nicht lange dauern. Wir treffen uns nachher im Luigi’s, okay?!“
Liz nickte, stand auf und ging, nicht ohne Eiji einen zornigen Blick zuzuwerfen.
Jörg stand auf, sah Liz noch einen Moment hinterher, dann wandte er sich Eiji zu und fragte: „Was ist denn so wichtig, dass du sogar auf Höflichkeit verzichtest?“
Eiji blieb todernst und sagte: „Die Zeit ist nah!“
„Welche Zeit?“ fragte Jörg, teils genervt, teils amüsiert.
„Ich wollte dich noch besser vorbereiten, aber sie sind mir zuvor gekommen. Eine gigantische Bedrohung naht, und du bist auserwählt, dich ihr entgegenzustellen.“
Jörg lachte, doch verklang es, als er merkte, dass Eiji immer noch ernst war. „Das war doch ein Witz, oder?!“
Eiji ergriff Jörgs rechte Hand am Gelenk, hob se auf Brusthöhe zwischen ihnen und strich mit seiner anderen Hand über Jörgs Handrücken. Als Eiji seine Hand wegzog, erschien ein Symbol auf dem Handrücken, drei gleichschenklige Dreiecke, eines außen, eines in der Mitte und eines Innen. Die Spitze war auf die Finger gerichtet. Jörg starrte seine Hand an. „Wie hast du das gemacht? Ist das ein Trick?“ Er rieb sich über den Handrücken, aber das Symbol blieb.
„Wenn der Zeitpunkt gekommen ist,“ sagte Eiji, „berühre das Symbol. Von da an wirst du wissen, was zu tun ist.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging.
Jörg blickte ihm ein paar Sekunden hinterher, sah dann wieder auf das Symbol auf seinem Handrücken. Die Linien schienen unter seiner Haut zu verlaufen. Der junge Mann war verwirrt. So ein Verhalten war er von seinem besten Freund nicht gewohnt. Und wie hatte er das mit dem Symbol gemacht? Jörg beschloss, dass er einen Termin beim Arzt machen würde, nur um sicher zu gehen, auch wenn er nicht glaubte, dass Eiji ihm irgendwie schaden würde. Er packte sein Buch in seinen Rucksack und ging Richtung Luigi’s.

Dr. Foss schreckte auf, als das Heulen der Sirenen erklang. Er stürmte sofort aus seinem Büro, den Korridor entlang auf den Kontrollraum zu. Hastig tippte er seinen Sicherheitscode ein und trat ein, als sich die Tür öffnete. Drinnen herrschte gewaltige Aufregung. Rote Lichter leuchteten auf. Die beiden Wachmänner tippten eilig auf ihre Knöpfe und brüllten in ihre Funkgeräte. Doch darauf achtete Foss nicht. Alles, was er sah, war die große Halle hinter dem Sichtfenster. Gigantische, zerbrochene Eierschalen. Und ein klaffendes Loch im Boden. Schlagartig wurde Foss klar, was geschehen war. Dainossor war da.

Jörg setzte sich an den kleinen Tisch vor dem Café Luigi’s und lächelte Liz an. „Ich hatte ja gesagt, dass es nicht lange dauern würde!“
Liz nickte mit hochgezogener Augenbraue. Ihr eng anliegendes, kurzes Haar glänzte im Sonnenlicht. „Was wollte er denn?“
Jörg schüttelte den Kopf. „Frag’ mich was Leichteres. Er hat nur irgendwelches, wirres Zeug geredet. So kenne ich ihn gar nicht.“
„Vielleicht war er zu lange in der Sonne?!“ witzelte Liz. „Naja, jedenfalls, hast du von der Party bei Achim am Wochenende gehört?“
„Ja, hab ich. Ich weiß noch nicht, ob ich hingehen soll.“
„Würdest du mit mir hingehen?“
Jörg verengte seine Augenlider. „Als Date?“
Liz verzog für einen Moment ihre linke Augenbraue auf verführerische Art. „Vielleicht?!“
Jörgs Lächeln wurde breiter.
Plötzlich begann die Erde zu vibrieren. Es wurde stärker, bis es ein richtiges Beben war. Entfernt waren Schreie zu hören. „Was ist das?!“ fragte Liz mit besorgtem Gesichtsausdruck.
Jörg schaute sich um. Da hörte er ein lautes, animalisches Brüllen. Er blickte auf und traute seinen Augen nicht, als er den Kopf und die Schultern einer gigantischen, von kleinen Hörnern übersäten Echse hinter ein paar Gebäuden sah.
Liz folgte Jörgs Blick, sah zu dem Riesenreptil, gerade als es den Kopf ihnen zuwandte. Liz schrie panisch auf, im selben Moment, als das Monster zu brüllen begann. An seiner Kehle blähte sich ein Kehlsack auf.
Jörg ahnte Böses, packte Liz an den Schultern und zog sie mit sich von dem Café weg. Der Kehlsack des Monsters entleerte sich, als aus dem Maul der Kreatur ein riesiger Feuerball geschossen kam und das Luigi’s in Stücke riss. Panik herrschte auf den Straßen, die Leute liefen, Autos fuhren, alles wild durcheinander. Trümmer fielen auf die Straße und begruben den einen oder anderen Passanten unter sich. Das Monster löste mit fast jeder Bewegung Zerstörung aus. Die Spitze seines Schwanzes schlug gegen die oberen Stockwerke eines Hochhauses und ließen Stücke davon nach unten fallen. Liz hatte noch Glück im Unglück, als sie am Knöchel von einem faustgroßen Stück Hauswand getroffen wurde. Sie schrie vor Schmerzen. Jörg erkannte, dass sie so nicht würde laufen können. Er sah sich um und rannte vor ein Auto, hatte Glück, dass der Fahrer noch anhielt. Jörg lief zur Fahrertür und redete durch das offene Fenster auf den Fahrer ein. Ein Platz war noch frei im Wagen. Jörg half Liz auf die Rückbank, schlug die Tür zu und blickte dem davonrasenden Wagen hinterher. Dann lief er zu einer Seitengasse. Dort atmete er ein paar Momente durch, dann erinnerte er sich an Eiji und das Symbol auf seinem Handrücken. War dieses Monster die Bedrohung, von der Eiji gesprochen hatte? Jörgs Weltbild bereits genug in Stücke gerissen, dass er es in Betracht zog. Vorsichtig berührte er die drei Dreiecke. Plötzlich erstrahlte Alles. Jörg fühlte, wie sich sein Körper veränderte. Eine zweite, dicke Haut zog sich über seinen ganzen Leib. Unglaubliche Energien flossen durch seinen Körper. Als das Strahlen abklang blickte Jörg an sich herunter. Die zweite Haut war rot, ab den Schultern dunkelblau. Auf seiner Brust prangten die drei Dreiecke in größerer Ausführung. Das innerste Dreieck leuchtete. Er berührte sein Gesicht und stellte fest, dass auch sein Kopf von dieser Haut überzogen war. Plötzlich kam ihm ein Gedanke, er blickte hinunter zu seinem Schritt und sah erleichtert, dass die Schutzhaut ihm keine Blöße gab. Nun sah er auf. Er streckte seine Arme in die Höhe und begann, zu schweben, immer höher, bis er tatsächlich flog. Er landete auf einem Gebäude und sah zu dem Monster hinüber. Nun konnte er es ganz ausmachen. Es ging auf zwei Beinen, hatte zwei längere Arme, die in dreikralligen Händen endeten. Die Hörner verliefen in Reihen an den oberen Seiten des Körpers, bis sie am Schwanz zu einer Reihe wurden. Er wusste nicht woher, aber irgendwoher wusste er den Namen der Kreatur: Dainossor. Dieses Wissen musste aus derselben Quelle kommen, wie die Ahnung, dass er in diesem Zustand fliegen konnte, oder was als nächstes zu tun war.
Es dauerte nur einen Augenblick, bis Dainossor diesen eigenartigen Menschen auf dem Gebäude bemerkte. Der einzige Mensch, bei dem es keine Furcht erkannte.
Jörg trat an den Rand des Gebäudes und sprang mit angewinkelten Ellenbogen auf das Monster zu. Im Flug wuchs er, immer weiter, - das mittlere Dreieck begann zu leuchten, schließlich auch das Äußerste - bis er eine ähnliche Größe wie Dainossor angenommen hatte, und ließ schließlich den Ellenbogen von oben gegen die Schnauze des Monsters knallen. Dainossor fiel zu Boden. Doch nicht für lange. Schnell rappelte die Echse sich wieder auf. Ein paar Augenblicke starrte es seinem unerwarteten Gegner an, dann sprang es auf und traf Jörg mit den Füßen an der Brust. Jörg fiel nach hinten, gegen das Gebäude, auf dem er eben noch gestanden hatte, und fühlte es unter sich zusammenbrechen. Rauch stieg von den Trümmern auf. Bevor Jörg aufstehen konnte, war Dainossor über ihm, riss sein Maul weit auf und stieß es dem Menschen entgegen. Jörg zog gerade noch rechtzeitig den Kopf ein, so dass Dainossor nur Trümmer zwischen die Zähne bekam, und schlug mit der Faust in die Magengegend der Riesenechse. Er hörte ein schmerzerfülltes Japsen, rollte sich unter Dainossor weg und sprang auf die Füße. Das Monster wandte sich zu ihm um, blähte seinen Kehlsack auf und spuckte einen weiteren Feuerball. Jörg sprang zur Seite und registrierte, dass der Feuerball ein weiteres Gebäude in Stücke riss, während er auf dem Boden aufprallte.
Er blickte sich einen Moment um, sah in der Ferne einige Helikopter der Bundeswehr anfliegen. Er sah die Menschenmassen, die aus sicherer Entfernung zusahen. Und er entdeckte Leichen, unter den Trümmern begraben. Er wusste, dass er diesen Kampf so schnell wie möglich beenden musste, wenn er weitere Opfer vermeiden wollte.
Er stand auf und stellte sich dem Monster entgegen. Wieder blähte sich der Kehlsack des Dainossor auf. Schnell eilte Jörg auf das Monster zu und packte es an der Schnauze, presste die Kiefer der Echse fest zusammen. Dainossor schüttelte sich, stieß den Kopf vor und zurück, versuchte alles, um seine Schnauze freizukriegen. Erfolglos. Mit dem Bein stieß es gegen ein Kaufhaus und riss ein großes Stück der Fassade heraus. Der Schwanz schlug hin und her, prallte gegen das ein oder andere Gebäude. Schließlich wurde der Druck zu groß. Mit einem lauten Geräusch platzte der Kehlsack auf. Dainossor wurde schwächer, immer schwächer, bewegte sich schließlich gar nicht mehr. Das Monster war tot.
Jörg stand über dem Kadaver der Riesenechse und blickte erleichtert auf sie hinunter.
Er blickte sich um, die Helikopter kamen näher. Er begann, zu schrumpfen, das Leuchten des äußersten Dreiecks erlosch, schließlich auch das Mittlere, bis nur noch das Innerste leuchtete und Jörg auf Normalgröße zurück war. Er berührte das Symbol auf seiner Brust, wieder erstrahlte alles, und er fühlte, wie sich die zweite Haut wieder von ihm abschälte. Als das Strahlen erlosch, war er wieder wie vorher, trug dieselbe Kleidung, selbst sein Haar war nicht durcheinander geraten. Niemand hatte seine Verwandlung bemerkt. Ungläubig blickte Jörg auf Dainossors Kadaver zurück, der nun viel gigantischer aussah, als noch vor einem Moment. Jörg schüttelte den Kopf. Er würde erstmal eine zeitlang brauchen, um mit diesen Geschehnissen fertig zu werden. Und er würde ein wichtiges Gespräch mit Eiji führen. Aber zuerst würde er nach Liz suchen.

In der Notaufnahme war die Hölle los, überall waren Verletzte, glücklicherweise nicht so viele von ihnen schwer. Jörg hatte Liz bei einem Krankenpfleger gefunden, der sie auf dem Flur behandeln musste. Erleichtert legte er seine Arme um sie und spürte, wie sie ihre Arme um ihn schlang. „Bist du in Ordnung?“ fragte er mit hörbarer Besorgnis.
„Der Knöchel ist angebrochen. Scheint, als würde ich auf der Party nicht tanzen können.“
Jörg atmete erleichtert auf. „Wir werden uns schon nicht langweilen.“ Schließlich schaffte er es, sich von ihr zu lösen.
Hinter sich hörte er ein Gespräch mit. Ein paar Leute redeten über die Geschehnisse. Über diesen Riesen, diesen Koloss, wie er im Fernsehen genannt wurde. Und über das Monster, und wo es wohl hergekommen war.

Dr. Mafune trommelte mit den Fingern auf seinem Schreibtisch. Sein weißer Schnäuzer juckte, als er sich den Bericht anhörte, den Foss ihm über das Telefon gab. „In Ordnung,“ sagte er, als Foss fertig war. „Sorgen Sie dafür, dass niemand Dainossor zu uns zurückverfolgen kann.“
„Ja, Dr. Mafune,“ kam die Antwort.
„Und, Foss!“
„Ja, Doktor?“
„Sorgen Sie dafür, dass von den Anderen kein weiteres vorzeitig ausschlüpft!“

Ende(vorerst).
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Re: DER KOLOSS

Beitrag von Kai "the spy" » Do 30. Apr 2009, 16:02

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#2: Till the End of the Night
von Kai Brauns

Jörg Stein öffnete die Tür zu seiner Wohnung, welche er gemeinsam mit seinem besten Freund, dem japanischen Studenten Eiji bewohnte. Dieser saß auf der Couch in der Mitte des Raumes und schien auf Jörg gewartet zu haben. Jörg trat ein und schloss die Tür hinter sich. "Du weisst hoffentlich, dass ich jetzt ein paar Antworten haben will," sagte er mit bestimmter Stimme.
"Du hast sicherlich viele Fragen," erwiderte Eiji.
"Das ist eine Untertreibung. Was genau hast du mit mir angestellt?"
"Setz dich, Jörg," sagte der Japaner und deutete mit einer einladenden Geste auf den Sessel neben ihm.
Jörg folgte der Einladung und setzte sich.
"Es droht das Aufkommen der Monster. Eine finstere Macht schickt sie, um das letzte Zeitalter einzuläuten. Die entgegengesetzte Macht hat dich ausgewählt, um dies zu verhindern."
Jörg ließ das Gesagte auf sich wirken. "Hätte ich mich nicht vor einigen Stunden in ein riesiges Superwesen verwandelt um ein Monster zu bekämpfen, welches die Stadt bedrohte, würde ich meinen, du hättest zu viele billige Fantasy-Filme gesehen." Er lehnte sich vor. "Was für eine Rolle spielst du in der ganzen Sache?"
"Ich bin hier, um dich zu führen. Um deine Fragen zu beantworten und dein Potential zu wecken."
"Und das war so über die ganzen letzten zwei Jahre, die wir uns nun kennen, so?"
Eiji seufzte. "Jeder von uns spielt seine Rolle im Spiel der großen Mächte."
"Was, wenn ich meine Rolle nicht spielen will?"
"Dann ist alles verloren."
Jörg seufzte. "Was ist meinen Kräften. Was kann ich alles, vom fliegen und zu Monstergröße anwachsen mal abgesehen?"
"Sehr viele Dinge. Solange dich das Licht der Sonne trifft, wirst du übermächtig sein."
"Du meinst, ich beziehe meine Kraft aus den Sonnenstrahlen? Wie Superman?"
Eiji nickte. "Du kannst deine Energie speichern, doch während der Nacht wirst du keine neue Energie bekommen."

Dr. Mafune blickte auf die Kreatur, welche in einer Ecke des Raumes hinter der Scheibe aus Panzerglas lag. Wie eine Mischung aus Mensch und Fledermaus wirkte das Wesen, am ganzen Körper mit kurzem, hellbraunem Fell bedeckt. Seine Ohren waren groß und spitz, sein Gebiss wurde von langen und spitzen Eckzähnen dominiert. Neben seinen beiden Armen besaß er aus den Schultern herauswachsende, fledermausartige Flügel. Orlok hatte Mafune seine Schöpfung genannt. Ein Vampirwesen, welches aus dem Blut anderer Lebewesen seine Macht nahm. Je mehr Blut es konsumierte, desto mächtiger würde es werden.
Dr. Mafune wandte sich an den Abteilungsleiter Dr. Foss. "Ist Orlok bereit?"
Foss nickte. "Wir können ihn jederzeit wecken, Dr. Mafune."
Hatori Mafune trat einen Schritt auf das Panzerglas zu und beobachtete die am Boden liegende Kreatur. "Kurz vor, am Samstag. Dann hetzen wir ihn auf den Koloss und machen den Weg frei."
"Ja, Dr. Mafune," erwiderte Foss.

Jörg stieg mit Liz, welche noch auf Krücken ging, aus der Straßenbahn aus. Sein Angebot, sie zu stützen, hatte sie dankend abgelehnt, die Krücken seien Stütze genug.
Gemeinsam gingen sie auf das Mehrfamilienhaus zu, in dem ihr Studienkollege eine Party gab.
Die Feier war gut besucht. In einem Zimmer lief laute Musik, zu der ausgiebig getanzt wurde. Jörg und Liz setzten sich zu einer Gruppe in einem Nebenraum, wo eher getrunken und diskutiert wurde, als sich physischer Ekstase hinzugeben.
Man sprach über Politik, Philosophie und Psychologie, als Liz kurz vor Mitternacht mit Jörg auf den Balkon gehen und frische Luft schnappen wollte. Achim hielt Jörg jedoch kurz auf, da er noch kurz mit ihm über die kommende Klausurprüfung sprechen wollte. "Geh ruhig schon mal raus," meinte Jörg zu Liz. "Ich komme gleich nach."
Die Kanadierin mit teils afrikanischen, teils europäischen Wurzeln trat auf den Balkon und atmete die kühle, frische Nachtluft ein. Sie setzte sich auf eine kleine Hollywoodschaukel und stellte die Krücken an das Balkongeländer gelehnt ab. Nach den Ereignissen der letzten Woche schien der Blick über Deerenstadt zu so später Stunde direkt friedlich. Ein Gefühl der Trauer und der Angst überkam Liz, als sie daran dachte, dass die Bergungsarbeiten nach dem Angriff der riesigen Monsterechse auf die Innenstadt noch immer im Gange waren. Sie selbst war damals in der Innenstadt gewesen und konnte nur knapp, dank Jörgs Hilfe, entkommen.
Plötzlich hörte sie eine Art Fauchen. Sie sah sich um und entdeckte plötzlich im Schatten ein rot leuchtendes Augenpaar. Sie konnte ansonsten nur einige Konturen ausmachen, doch bereits die Größe des Wesens zeigte, dass es sich nicht bloß um eine Nachbarskatze handelte. Als die Kreatur auf sie zukam und dabei ins Licht trat, sah Liz eine grauenerregende Kreuzung aus Mensch und Fledermaus vor sich. Es fauchte und zeigte dabei seine langen, spitzen Eckzähne.
Liz schrie und griff nach einer ihrer Krücken, um sich damit verteidigen zu können.
Jörg hörte Liz schreien und sah zum Balkon hinaus. Dort sah er die Kreatur. Ohne zu Zögern hechtete er auf das Monster zu, stieß es um und fiel mit ihm vom Balkon. Im freien Fall breitete Orlok, dessen Namen Jörg instinktiv wusste, die Flügel aus und flatterte mit dem Studenten im Griff Richtung Innenstadt.
Dort angekommen ließ der Orlok Jörg los. Im freien Fall berührte Jörg das Symbol auf seinem rechten Handrücken und fühlte die Verwandlung. Die zweite Haut umschloss ihn, unendlich scheinende Energie floss durch seinen Körper. Er wurde zum Koloss. Augenblicklich stoppte er seinen Fall und raste mit den Fäusten voran auf das Fledermausmonster zu. Er traf die Kreatur am Brustkorb und es fiel einige Meter herab, bevor seine Flügel wieder zu schlagen begannen. Geifernd starrte Orlok den Superhelden an. Plötzlich riss es die Flügel herum und flatterte auf einige Nothelfer am Boden hinab. Umgehend flog der Koloss ihm hinterher, doch zu spät. Orlok hatte bereits einen Mann erwischt und schlug im nun mit voller Wucht die Eckzähne in den Hals. Während Orlok trank, begann sein Körper an zu leuchten, und die Fledermauskreatur wuchs. Schon bald war Orlok zu gigantischen Ausmaßen angewachsen und fauchte dem nun im Vergleich winzigen Koloss entgegen. Die Leiche des Nothelfers ließ er unachtsam falls.
Der Koloss reagierte umgehend und fing selbst zu wachsen an, bis er schließlich eine ähnliche Größe erreicht hatte, wie der Orlok. Unter ihnen rannten die Noteinsatzkräfte in Panik davon. Nun ging der Kampf der Giganten erst los. Doch so sehr sich der Koloss auch bemühte, er konnte Orlok nicht besiegen. Jeder Schlag kostete Kraft, jeder Tritt ließ ihn schwächer werden.
Jörg erinnerte sich daran, was Eiji über seine Kräfte gesagt hatte. Dass sie vom Sonnenlicht gespeist wurden. Er realisierte, dass er bis Sonnenaufgang ausharren musste, bis er wieder kräftig genug war, um seinen Gegner zu besiegen. Bis dahin musste er alles geben.
Die Innenstadt litt unter dem Kampf der Giganten. Mal wurde ein Gebäude zufällig getroffen, mal fiel einer der beiden Kontrahenten zurück und sorgte bei der Landung zwangsläufig für Zerstörung.
Schließlich beschloss der Koloss, etwas auszuprobieren. Er erhob sich in die Lüfte und flog einige Kilometer davon. Als er sich umdrehte sah er, dass er richtig getippt hatte: Orlok folgte ihm. Nun musste Jörg nur schneller sein. Er flog weiter, immer weiter von der Innenstadt weg. Hoffentlich würde Orlok seinen Plan nicht durchschauen. Der Koloss flog immer weiter, Orlok immer dicht auf den Fersen. Unter ihnen zogen die deutsche Ostgrenze und schließlich Polen vorbei, immer weiter flogen sie, stundenlang, bis der Koloss schließlich am Horrizont sein Ziel sah: Sonnenlicht. Sein Körper sog die Strahlen auf wie ein Schwamm, er fühlte, wie die Energie ihn durchströmte. Er stoppte und wandte sich in der Luft um, erwartungsvoll auf Orlok starrend. Plötzlich fühlte er, wie sich die Energie in seinen Fäusten sammelte. Instinktiv streckte er seine nun leuchtenden Hände dem Gegner entgegen. Ein gewaltiger Energiestrahl schoss aus seinen Händen und traf das Monster auf der Brust. Orlok brüllte vor Schmerzen auf, der Strahl schoss immer weiter auf ihn zu. Schließlich begann der Orlok zu leuchten und wurde schließlich durch eine gewaltige Explosion auseinander gerissen.
Der Koloss ließ die Hände sinken, tankte noch etwas Energie aus den Sonnenstrahlen und machte sich dann auf die Rückweg.

Liz saß inmitten von besorgten Freunden und fremden Partygästen. Alle starrte gebannt auf den Fernsehschirm, wo ein Nachrichtensender live aus der Innenstadt berichtete. Immer wieder wurden die Geschehnisse durchgegeben, welche seit der Flucht des Kolosses und der Verfolgung durch Orlok stattfanden.
Liz hörte gebannt zu, doch Jörg wurde nie erwähnt. Was wohl mit ihm geschehen war?! Die Sorge brachte Liz beinahe um den Verstand. Plötzlich klingelte es, jemand machte die Tür auf. Liz bekam es kaum mit, doch als Jörg plötzlich vor ihr stand, hielt sie nichts mehr auf. Sie schlang die Arme um ihm und hielt ihn fest. Tränen der Erleichterung liefen ihr Gesicht hinab.
Jörg hingegen überkam ein tiefes Schuldgefühl. Wie konnte er Liz nur so lange in Sorge lassen?! Doch er hatte gegen den Orlok kämpfen müssen. Ihr die Wahrheit zu sagen würde kaum etwas verbessern, denn dann würde sie sich erst recht Sorgen machen. Der Student fühlte sich hin- und hergerissen.

Dr. Mafune schlug mit der Faust auf seinen Schreibtisch. Er hatte große Hoffnungen in Orlok gesetzt, doch sie waren enttäuscht worden. Seine Monster mussten noch mächtiger werden. Mafune atmete tief durch, stand schließlich auf und ging zum Schrank, welcher eine ganze Wand seines Büros dominierte. Er öffnete ihn und starrrte auf die schwarzleuchtende Kugel, welche in der Mitte des ansonsten leeren Schrankes schwebte.
"Orlok hat versagt, Herr," sagte Mafune voller Frustration. "Der Koloss ist noch immer eine Bedrohung."
"Wir werden uns darum kümmern," antwortete eine laute, tiefe Stimme, wie aus weitere Ferne.
Mafune nickte und sank vor der Kugel auf die Knie. "Das nächste Mal werden wir ihn kriegen, Herr!"

Ende (bis zum nächsten Mal)
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Re: DER KOLOSS

Beitrag von Kai "the spy" » Do 14. Jan 2010, 22:54

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#3: Just beyond my Reach
von Kai Brauns

Elizabeth Garrison rannte durch die Straßen von Deerenstadt. Gegen einen Ansturm von hunderten flüchtender Menschen versuchte sie, zum Stadtzentrum zu gelangen. In der Innenstadt wütete eine gewaltige Kreatur, ähnlich der beiden Monstren, welche vor einigen Wochen bereits Deerenstadt bedroht hatten, und auch dieses Mal stellte sich der Koloss zum Kampf. Doch bevor Liz sich selbst in Sicherheit bringen konnte, musste sie Jörg, ihren Freund, finden.

Zwei Tage zuvor:
Dr. Bernhardt fühlte das Fußgelenk von Liz Garrison ab. „Tut das weh?“ fragte er.
Liz schüttelte den Kopf.
„Die Schwellung ist ebenfalls zurückgegangen. Es geht Ihrem Knöchel offensichtlich besser.“
Die junge Frau lächelte erleichtert. Während dem Angriff des ersten Monsters, der Riesenechse, war sie verletzt worden, ihr Knöchel war verstaucht. Eine Weile hatte sie mit Krücken gehen müssen, was eine echte Einschränkung für sie dargestellt hatte. „Dann brauche ich die Krücken nicht mehr,“ hakte sie hoffnungsvoll nach.
„Nein,“ antwortete der Arzt mit einem Lächeln. „Aber seien Sie die nächste Zeit noch etwas vorsichtig mit ihrem Fuß. Belasten Sie es nicht zu sehr.“
„Keine Sorge, Doktor Bernhardt,“ sagte Jörg, der neben der Zimmertür an der Wand gelehnt stand. „Ich passe schon auf, dass sie keine Dummheiten macht.“
„Vielleicht solltest du erst mal deinen Kopf untersuchen lassen,“ entgegnete Liz schnippisch. „Immerhin bist du mit diesem Vampirmonster vom Balkon gestürzt und an die Stunden danach kannst du dich nicht erinnern.“
„Vergiss nicht, warum ich vom Balkon gestürzt bin,“ erwiderte Jörg. „Und aufgeprallt bin ich offenbar sowieso nicht aus großer Höhe, sonst ginge es mir wohl kaum so gut.“
„Haben Sie sich deswegen schon untersuchen lassen?“ wollte Dr. Bernhardt von Jörg wissen.
„Ja,“ antwortete Jörg. „Dr. Tälmann hat mich untersucht und meinte, mit mir wäre alles in Ordnung.“
„Solange du nicht wieder spurlos verschwindest und mich stundenlang in Sorge lässt,“ meinte Liz.

***
Liz wich einigen Brocken aus, die aus einem Gebäude heraus gebrochen waren, als der Koloss darin landete. Sie hielt kurz inne, um zu beobachten, wie der Riese sich wieder aufrappelte und dem Monster erneut entgegen trat. Dann lief sie weiter, immer auf der Suche nach Jörg. Irgendwo musste er sein.

Drei Monate zuvor:
Liz konnte ihn einfach nicht finden. Eine gefühlte Ewigkeit irrte sie bereits durch die Korridore der Universität. Es war ihr erster Tag, und sie war nun schon zwanzig Minuten zu spät zur Vorlesung.
„Sie sehen aus, als hätten Sie sich verirrt,“ hörte sie eine freundliche Stimme. Die junge Frau wandte sich um und blickte in das Gesicht eines Mannes, anfang zwanzig, groß und gut gebaut. Sein Haar war braun und gut gekämmt, ohne spießig auszusehen. Sein Lächeln strahlte Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft aus. Und etwas an diesem Mann weckte in Liz sofort Interesse. Sie konnte nicht direkt mit dem Finger darauf zeigen, aber sie spürte es deutlich.
„Ja, ich suche den Saal B-201.“
Der Mann nickte. „Biologie bei Professor Bergheim. Der ist hier ganz in der Nähe. Ich würde Sie gerne dorthin begleiten.“
Liz lächelte dankbar. „Das ist sehr nett von Ihnen. Danke!“
Er machte eine einladende Geste und sie folgte der angedeuteten Richtung, bald gingen sie nebeneinander her und kamen ins Gespräch. „Ihr Akzent ist mir leider nicht ganz vertraut,“ sagte der junge Mann. „Darf ich fragen, wo Sie herkommen?“
„Ja,“ antwortete Liz. „Ich komme aus Toronto.“
„Kanada? Interessant. Ich bin noch nie jemandem aus Kanada begegnet. Jedenfalls nicht bewusst.“
„Wo kommen Sie denn her?“
„Ich komme aus Ingelsberg. Eine kleine Stadt in Süddeutschland.“
„Und Sie studieren auch Biologie?“ fragte Liz neugierig.
„Oh, nein, ich studiere Philosophie und Germanistik. Aber mein Mitbewohner studiert Biologie, von daher weiss ich über die Säle und Professoren Bescheid.“ Der junge Mann deutete auf eine Tür an der Seite des Korridors. „Hier wären wir. Ich hoffe, Sie finden noch einen Sitzplatz.“
„Ich fürchte, das kann ich vergessen, bei einer halben Stunde Verspätung. Vielen Dank, jedenfalls. Mein Name ist übrigens Elizabeth, aber meine Freunde nennen mich einfach Liz.“
„Mein Name ist Jörg, und ich hoffe, dass ich Sie Liz nennen darf.“

***
Liz fand ein zusammengestürztes Haus. Der Koloss und das Monstrum kämpften noch immer, nicht weit entfernt, doch Liz kletterte in die Trümmer und suchte nach ihrem Freund. Sie blickte sich um, suchte nach irgendwas, das ihr weiterhelfen könnte. Warum musste Jörg in solchen Situationen auch immer weg sein? Warum konnte er nie bei ihr bleiben, wenn eine dieser Kreaturen auftauchte? Sie hatte solch unglaubliche Angst um ihn. Doch noch eine andere Ungewissheit nagte an ihr: Warum verschwand er immer? Warum konnte niemand sagen, wo er in der Zwischenzeit war? War etwas mit seinem Gedächtnis nicht in Ordnung, nachdem er verletzt wurde? Oder verheimlichte er etwas vor ihr?
All diese Gedanken wurden unterbrochen, als Liz plötzlich eine Hand entdeckte, die unter den Trümmern hervorschaute. Jörg?!

Neun Jahre zuvor:
Liz kam gerade von der Schule nach Hause. Sie war den ganzen Weg zu Fuß gegangen, weil sie auf die Busfahrt verzichtet hatte. Wegen ihres Vaters. Eigentlich wollte dieser sie abholen, mit ihr gemeinsam ins Kino gehen und irgendwo ein Eis essen. Eigentlich sollte heute der Tag sein, an dem die beiden etwas gemeinsam unternahmen. Doch er war nicht gekommen. Wie schon letzte Woche nicht. Und die Woche davor. Nun öffnete Liz die Hintertür und trat in die Küche. Am Küchentisch saß ihre Mutter. Sie weinte. „Mom?! Was ist los?“ wollte die Teenagerin wissen.
„Er ist weg,“ brachte ihre Mutter unter den Tränen hervor. Mehr konnte sie nicht sagen. Stattdessen schob sie ihrer Tochter einen Brief zu. Es war die Handschrift von Liz' Vater. Er schrieb davon, wie eingeengt er sich fühle. Wie er sich nach Freiheit sehnte. Doch diese Freiheit konnte er nicht haben, solange er sich um seine Frau und seine Tochter kümmerte. Doch der Drang nach Freiheit war stärker gewesen. Die Verantwortung ablegen. Das war ihm wichtig. Liz wurde erst langsam klar, was sie da las. Ihr Vater war weg. Er liebte die Freiheit mehr als seine Familie. Mehr als seine Tochter.

***
Liz räumte den Arm immer weiter frei. Die Tränen rannen ihr über das Gesicht, doch sie konnte nicht aufhören. Schließlich legte sie einen Teil des Gesichtes frei. Ein Bart! Es war nicht Jörg. Erleichtert ließ sich die junge Frau fallen, Tränen der Angst wurden zu Tränen der Erleichterung. Und gleichzeitig fühlte sie sich schuldig, diese Erleichterung zu verspüren, während neben ihr ein toter Mensch lag. Und Jörg. Er war noch immer irgendwo dort draußen. So schnell sie konnte kletterte sie aus dem Haus hervor. Auf der Straße sah sie sich um, doch die Tränen ließen ihr keine klare Sicht. Sie war verzweifelt. Was sollte sie noch tun? Was konnte sie noch tun? Und so tat sie das einzige, was ihr blieb. Sie schrie seinen Namen. So laut sie konnte.
Der Koloss schien sie zu hören. Er wandte sich zu ihr um. Das Monster nutzte diesen Moment der Ablenkung und stieß den Helden nieder. Er fiel. Eine Häuserreihe wurde unter ihm begraben, und die Wucht seiner Landung war so heftig, dass Liz von ihren Füßen gerissen wurde. Sie prallte gegen die Außenwand des Hauses, aus dem sie gerade erst heraus geklettert war. Ihr Kopf knallte an harten Stein. Dunkelheit umhüllte sie. Ihr Körper wurde taub. Sie spürte nicht, wie sie auf dem Pflasterstein landete. Sie bekam den verzweifelten Zorn des Kolosses nicht mit, der nun wild auf das Monster einschlug, bis der Panzer der Kreatur unter seinen Fäusten brach, bis Blut an seiner Handkante klebte, bis das Monster sich nicht mehr rührte. Sie bekam nicht mehr mit, wie der Koloss auf die Knie fiel und einen entsetzlichen Schrei des Leidens ausstieß.

Jörg saß neben dem Krankenbett. Er wagte es nicht ihr ins Gesicht zu schauen. In das unschuldige, regungslose Gesicht. Das einzige, was er hörte, war das regelmäßige Piepen, welches zeigte, dass ihr Herz noch schlug. Er saß da, starrte vor sich hin und fühlte, dass dies seine Schuld war.

Ende (bis zum nächsten Mal)
Chicks dig red Trunks!

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Kai "the spy"
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Re: DER KOLOSS

Beitrag von Kai "the spy" » Mo 11. Apr 2011, 05:15

Rechtlicher Hinweis: Alle Rechte an der folgenden Geschichte und den darin enthaltenen Figuren und Ereignissen liegen bei Kai Brauns. Reproduktion, auch in Teilen, nur mit Genehmigung des Rechteinhabers erlaubt.

DER KOLOSS
#4: Where are all the Gods

Dr. Mafune kniete vor dem Schrank in seinem Büro, in dem eine schwarze, leuchtende Kugel schwebte. Sein Blick war auf den Boden vor ihm gerichtet. „Auch Gordos hat versagt, Herr,“ berichtete Mafune mit reuevollem Ton.
„Deine Schöpfungen konnten bislang nichts gegen den Koloss ausrichten,“ erwiderte eine laute, tiefe Stimme wie aus weiter Ferne. „Seine Macht ist höheren Ursprungs.“
„Ich verspreche, ich werde eine Kreatur schaffen, welche ihn zermalmen wird,“ versicherte der ältere Japaner in Rage.
„Er ist zu mächtig für deine Schöpfungen. Wir selbst werden einen Gegner für ihn wählen. Einen, den er nicht so einfach vernichten können wird.“
„Aber Herr, was ist mit mir?“
„Du wirst dich fügen,“ befahl die Stimme. „Wie es dein Platz ist.“

Mit müden Augen erblickte Jörg Stein sein Ziel. Der dunkle, etwa mannshoheQuader mit der leuchtenden Front war am Ende des Korridors. Trotz seiner Müdigkeit ging er schnellen Schrittes auf sein Ziel zu und suchte, als er angekommen war, nach der Taste für Kaffee mit Milch und Zucker. Mit der Rechten zog er seine Brieftasche aus seiner hinteren Hosentasche und öffnete das Münztäschchen. In einem Gewühl aus gesammeltem Restgeld suchte er nach den richtigen Münzen.
„Jörg,“ ertönte hinter ihm eine vertraute Stimme mit ebenso vertrautem Akzent. Jörg drehte nur kurz den Kopf zur Seite und war einen Blick über die Schulter, wandte sich aber gleich wieder dem Automaten und dem Inhalt seiner Brieftasche zu. Inzwischen hatte Eiji ihn erreicht. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht,“ sagte der junge Japaner. Jedenfalls erschien er wie ein junger Japaner. Was er wirklich war, da war sich Jörg nicht sicher.
„Was willst du?“ fragte Jörg ruppig, mit den Fingern immer noch im Münzfach seines Geldbeutels.
„Du warst seit drei Tagen nicht zu Hause,“ stellte Eiji fest.
„Ich war hier,“ erwiderte Jörg ebenso feindselig wie zuvor. Schließlich ließ er seine Brieftasche sinken. „Mir fehlt ein 10-Centstück.“
Mit einem Mal schlug er auf den Kaffeeautomaten ein. „VERDAMMTE SCHEISSE!“
Als er bemerkte, dass er von den anderen Leuten auf dem Korridor angestarrt wurde, trat er einen Schritt zurück, schloss die Augen und atmete tief durch.
Eiji reichte ihm eine Münze der gesuchten Sorte. „Wieso glaube ich nicht, dass du auf den Kaffeeautomaten wütend bist?“
Jörg sah ihn mit einem vernichtenden Blick an. „Du hast recht. Ich bin nicht wütend auf den Kaffeeautomaten, ich bin wütend auf dich.“
„Auf mich?“ wiederholte Eiji.
„Auf dich. Auf mich. Und diese Sache mit Monstern und Superkräften und höheren Mächten.“ Jörg ließ Eiji stehen und wandte sich wieder seinem Weg zum Krankenzimmer zu.
Eiji seufzte, steckte die Münze wieder wg und ging seinem Freund nach. „Ich kann dich verstehen, Jörg. Du hast nicht danach gefragt, der auserwählte Verteidiger der Menschheit zu sein.“
„Da hast du verdammt nochmal recht, Eiji, ich habe nicht darum gebeten. Aber ich habe getan, was du und wer immer hinter dir steht wolltet. Ich habe mich von höheren Mächten leiten lassen und bin in den Kampf gegen fantastische Monströsitäten gezogen. Weißt du, wie schwer das ist? Ich bin Anhänger von Kant, ein säkularer Humanist, und alles, was ich für euch getan habe, geht gegen diese Seite von mir. Aber ich habe mitgemacht. Immerhin haben schrecklichste Dämonen die Menschheit bedroht. Ich bin gegen sie angetreten, und ich habe sie abgewehrt, und zum Dank liegt Liz verletzt im Koma.“
Jörg blieb stehen und wandte sich Eiji zu. „Ich liebe sie. Vorher war ich mir dessen vielleicht nicht sicher, aber du deine Freundin leblos in einem Trümmerfeld findest, dann findest du sowas heraus. Ich liebe sie, Eiji, und fast hätte ich sie wegen diesen blöden Kämpfen verloren. Es ist mir egal, ob du mich zu verstehen glaubst. Alles, was im Moment von Bedeutung ist, alles was ich jetzt will, ist dass sie aus diesem verdammten Koma aufwacht.“
Einen Moment herrschte Schweigen. Dann ging Jörg weiter. Eiji blieb stehen und blickte ihm nach.

Er hätte das verdammte Geld annehmen und den Kaffee trinken sollen. Nun saß Jörg mit halboffenen Augen am Krankenbett, seine Hand hielt die seiner bewusstlosen Freundin umklammert.
Seit drei Tagen saß er jeden möglichen Augenblick an diesem Bett. Wenn er von der Krankenschwester aus dem Gebäude geführt wurde, weil die Besuchszeit um war, blieb er ständig in der Nähe des Krankenhauses. Seit zwanzig Stunden hatte er nicht geschlafen und nur einen Schokoriegel gegessen. Außerdem hatte er sich kaum gewaschen und auch nicht die Kleidung gewechselt. Dafür fehlte ihm nun der Sinn.
Plötzlich spürte er, wie sich ihr Ringfinger in seiner Handfläche bewegte. Sofort riss er die Augen auf und blickte sie aufgeregt an. „Liz?“
Ihre Augenlider flatterten kurz, bevor sie die Augen endlich öffnete. Angst lag in ihrem Blick, ihre Atmung beschleunigte sich ebenso wie ihr Herzschlag. Sie sah sich um, versuchte herauszufinden, wo sie war. Und dann fand ihr Blick ihn. „Jörg.“ Ihr Atem wurde wieder langsamer. Sie beruhigte sich.
Jörg beugte sich über sie. Seine Lippen bebten, Tränen sammelten sich an seinen unteren Augenlidern. „Gott sei dank, Liz! Ich hatte schon Angst, du würdest nie wieder aufwachen.“
„Was ist passiert?“ fragte sie. „Wo bin ich?“
„Du bist im Krankenhaus. Du ...“ Auf einmal fehlten ihm die Worte. Was sollte er ihr sagen? „Es tut mir Leid, Liz.“
Hinter sich hörte er eine Krankenschwester eintreten. Er bekam nur beiläufig mit, wie sie um das Bett herumging. Sie ergriff Liz' Handgelenk und fühlte den Puls. „Wie fühlen Sie sich, Frau Garrison?“
Liz wandte den Kopf um und sah zu der Schwester auf. Sie antwortete nicht sofort, schien erst in ihren Körper hinein horchen zu müssen. „Mein rechtes Bein schmerzt. Mein Brustkorb auch. Es fällt mir schwer, mich auf etwas zu konzentrieren. Kopfschmerzen.“
„Ihr Bein ist gebrochen, ebenso wie ein paar Rippen. Die Kopfschmerzen kommen von einer leichten Gehirnerschütterung. Außerdem hatten sie einige innere Blutungen, die inzwischen aber verheilt sein müssten.“ Sie hob die Hand vor Liz' Gesicht und streckte Daumen, Zeige- und Mittelfinger ab. „Wie viele Finger halte ich hoch?“
Liz zögerte kurz. „Drei.“
„Gut, Ihre Wahrnehmung scheint in Ordnung zu sein,“ sagte die Krankenschwester. „“Ich gehe eben Dr. Bernhardt holen, der Ihnen Ihre Fragen beantworten wird.“
Damit verließ die Frau das Zimmer. Jörg und Liz waren wieder allein. Sie sahen sich tief in die Augen. „Du siehst furchtbar aus,“ bemerkte Liz.
Jörg konnte ein freudiges Lachen nicht unterdrücken, das sich mit den Freudentränen sein Gesicht teilte. „Zerbrich' dir darüber nicht den Kopf. Um dich habe ich mir Sorgen machen müssen.“ Sein Lachen verschwand und seine Miene wurde ernst. „Was hast du da draußen überhaupt gemacht? Warum bist du nicht vor diesem Monster geflüchtet, wie alle anderen auch?“
Ihr Gesicht zeigte die Angst, an die sie gerade erinnert wurde. „Ich habe nach dir gesucht. Du warst kurz vor dem Auftauchen dieses Monsters in diese Richtung unterwegs, und als du nicht mehr zurückgekommen bist ...“ Ihre Tränen brachen in einem großen Schwall aus ihr heraus. „Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren. Ich hatte Angst, allein zu sein.“
Diese Offenbarung traf Jörg wie einen Schlag. Bislang hatte er sich Schuldgefühle gemacht, weil Liz durch seinen Kampf gegen das Monster Gordos verletzt wurde. Dass sie überhaupt nur dort war, um nach ihm zu suchen, … Diese Erkenntnis traf ihn bis ins Mark. Er hob die Hand und streichelte ihr übers Haar. „Ich werde dich nie mehr alleine lassen.“ Er lehnte sich vor und küsste sie auf den Mund. „Was auch passiert, ich bleibe bei dir.“


Eiji blickte gen Horizont. Sie war unterwegs. Er spürte es. Sie würde kommen, und sie würde Tod und Vernichtung bringen.
Er trat vom Rand des Krankenhausdaches zurück und ging zur Tür ins Treppenhaus. Egal, wie Jörg sich fühlte, der Koloss wurde gebraucht.

Jörg saß weiterhin neben dem Krankenbett und hielt ihre Hand, während Liz von Dr. Bernhardt aufgeklärt wurde. Sie würde wohl – schon wieder – eine Weile auf Krücken gehen müssen, um ihr gebrochenes Bein zu schonen, aber vorher sollte sie noch eine Woche im Bett liegen und nur selten mit einem Rollstuhl auf dem Gelände des Krankenhauses unterwegs sein. Innerlich schwor Jörg, sie jeden Tag mit dem Rollstuhl spazieren zu fahren. Er würde sie durch den zum Gelände gehörenden Park führen und mit ihr unter der großen Eiche sitzen. Er würde sie in die Cafeteria bringen und mit ihr Kaffee trinken. Mit Milch und viel Zucker, wie sie ihn mochte.
Er würde mit ihr an den Kiosk fahren und mit ihr etwas zu Lesen für die Abende aussuchen, an denen er das Krankenhaus verlassen musste. Und in dieser Nach würde er, nach einer langen und heißen Dusche, zum ersten Mal seit Tagen ruhig und tief schlafen, wissend, dass mit Liz alles in Ordnung war.
Ein Klopfen brachte den jungen Mann in die Realität zurück. Er wandte sich um. Eiji stand in der Tür.
„Entschuldigung, ich möchte nicht stören. Ich müsste nur kurz mit Jörg sprechen.“
Jörg schnaufte. Er hatte wenig Lust, den Japaner zu sehen, von einem Gespräch ganz zu schweigen. Was konnte er auch sagen? Dass es ihm Leid täte? Dass er sich mies fühle? Oder dass wieder mal eine Kreatur aus den Tiefen der Hölle die Menschheit bedrohte? Es kümmerte ihn nicht. Er wollte bei Liz bleiben. Er drehte sich zu ihr um. Sie lächelte ihn an und tätschelte seine Hand. „Geh' schon, aber nicht zu weit weg.“
Ihm wurde klar, dass Liz von Eiji noch immer als seinem besten Freund dachte. Einen Augenblick zögerte er, aber schließlich gab er ihr einen Kuss auf die Wange und stand auf. Er wollte ihr jetzt nicht erklären müssen, warum er mit Eiji im Moment nichts zu tun haben wollte.
Nachdem Jörg mit Eiji auf den Korridor hinausgetreten war, zog dieser ihn in eine stille Ecke mit. „Hör zu, Jörg, ich weiß, dass du es im Augenblick schwer hast, aber du wirst gebraucht.“
„Lass mich mit dem Kram in Ruhe. Such doch einen anderen Auserwählten.“
„Ich meine es ernst, Jörg,“ sagte Eiji mit fester Stimme. „Die einstige Göttin kehrt zurück.“
Jörg zog genervt die rechte Augenbraue hoch. „Die einstige Göttin.“
„Einst war sie eine Göttin, Beschützerin der Erde. Zwei Priesterinnen riefen sie, wann immer sie gebraucht wurde. Ihr Gesang brachte ihr die Macht, die Kreaturen der Finsternis zu bekämpfen und aufzuhalten. Doch eines Tages wurden die Priesterinnen von Handlangern des Bösen ermordet. Ihr Bindeglied zur Menschheit war fort. Die Trauer der Göttin wandelte sich in Hass, das Böse erlangte Macht über sie und machte sie selbst zu einer Kreatur der Finsternis. Und nun wird sie wiederkehren. Sie wird ihren Hass an der Menschheit auslassen. Die Waffen der Menschen sind machtlose gegen sie. Nur du kannst sie aufhalten.
Jörg schob das Kinn vor. „Wie ich sagte: Such dir einen anderen Auserwählten. Liz wurde verletzt, weil sie nach mir gesucht hat. Ich werde es ihr nicht antun, sie so plötzlich wieder allein zu lassen.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging zurück in Liz' Krankenzimmer.

Der Himmel verdunkelte sich. Die Wolken spiegelten Blitze wider. Donner grollte. Und durch die dunkelste Wolke am Himmel trat sie hervor. Ihre einstmals farbenfrohen Flügel waren nun schwarz. Ihre einst runden, leuchtenden Facettenaugen waren nun spitz und funkelten in bedrohlichem Rot. Ihr weicher Filz war verschwunden, ihr Körperpanzer völlig nackt.
Sie flog über das Land hinweg und näherte sich dem ahnungslosen Deerenstadt. Sie konnte nur an eines denken: Vernichten!

„Da ist schon wieder ein Monster,“ klang es panisch vom Korridor herein. Jörg, Liz und Dr. Bernhardt schreckten sofort auf.
„Ich sehe mal nach,“ meinte der Arzt und trat hinaus. Liz schob sich näher an Jörg heran und er legte seinen Arm um sie, als könne er damit jede Gefahr von ihr fern halten. Dr. Bernhardt kam nur kurz darauf zurück. „Es ist wahr, es gibt ein neues Monster. Dieses fliegt, und es steuert offenbar direkt auf die Innenstadt zu. Wir müssen umgehend evakuieren.“
Eine Schwester schob einen Rollstuhl mit einer Vorrichtung für Liz' gebrochenes Bein herein. Jörg schob seinen linken Arm unter die Knie seiner Freundin, während sie ihre Arme um seinen Hals schlang. „Achtung,“ gab Jörg Bescheid, hob Liz hoch und ließ sie in den Rollstuhl sinken. Dr. Bernhardt legte das gebrochene Bein auf die Vorrichtung und schnallte es fest.
Plötzlich bebte die Erde. Ein ohrenbetäubendes Donnern schlug auf das Trommelfell der Anwesenden. Fensterglas zersprang und von nicht weit entfernt leuchtete das gelblichrote Flackern von Feuer.
Als das Beben und der Donner aufgehört hatten, hob Jörg den Kopf. Liz schien es soweit gut zu gehen. Er blickte zum Fenster.
Nur wenige Straßen weiter standen die Häuser in Flammen. Und ein lautes, fremdartiges, gleichsam kratzendes und klagendes Geräusch machte ihm klar, dass die Göttin ganz nahe war. Es würde keine Zeit für eine Evakuierung bleiben.
Er drehte sich um und sah in ihr Gesicht. In ihre Augen. Und entweder lag es an seinem offensichtlichen Gesichtsausdruck oder an ihrer Angst, aber sie ahnte, dass er sie alleine lassen würde. Tränen traten ihr in die Augen und sie schüttelte den Kopf. „Nein,“ stieß sie aus und fügte mit zitternder Stimme hinzu: „Lass mich nicht allein!“
Jörg wandte den Blick ab. Er ertrug ihren Anblick nicht mehr. Hätte er sie weiter angesehen, er hätte nicht gehen können. Aber er musste gehen. „Es tut mir Leid, Liz.“
Er stand auf, ignorierte ihre nach ihm ausgestreckten Arme, lief los, rannte.
Aus dem Zimmer.
Durch den Korridor.
Zu irgendeinem Fenster.
Ohne Nachzudenken sprang er hindurch und berührte im freien Fall das Symbol auf seinem Handrücken.

Die Göttin ließ rote Blitze zur Erde fahren und Tod und Vernichtung verursachen. Sie schlug ihre Flügel und fachte die Feuer der Stadt weiter an. Sie würde ausrotten und zerstören, und diese Stadt war nur der Anfang. Alles Leben sollte von diesem Planeten getilgt werden. Einst hatte sie das Leben auf diesem Planeten beschützt. Doch ihr Lohn war der Tod ihrer Priesterinnen. Und die Menschen, die Kinder der Erde, waren ausgezogen, um ihre Mutter zu verletzen und auszubeuten, ohne Respekt oder Ehrfurcht. Mit der Zerstörung der Erde würde sich die Menschheit selbst vernichten. Doch die Göttin wollte nicht mehr so lange warten. Sie würde das Unvermeidliche beschleunigen, um das Ende der vergesslichen und ignoranten Kreaturen mitzuerleben, und ihrem eigenen qualvollen Leben danach ebenfalls ein Ende zu setzen.
Doch dann kam er.
Ein Mensch, groß wie sie, mit einer ungeheuren Macht in ihm. Die Hände zu Fäusten geballt, die Muskeln angespannt, trat er mit langsamen aber zielgerichteten Schritten auf sie zu. Sein Gesicht zeigte Wut und Entschlossenheit, und noch etwas anderes. Trauer? Sollte er trauern. Niemals würde sich sein Schmerz mit ihrem messen können. Und sie würde ihm noch viel größere Schmerzen zufügen.
Sie bog ihren Hinterleib und brachte ihren Stachel zum Vorschein. Mit großer Geschwindigkeit flog sie auf den gigantischen Menschen zu und stieß ihren Stachel in seinen Leib. Er schien überrascht, doch der Schmerz fand erst nach kurzer Zeit seinen Weg über die Nerven in sein Gehirn. Er schrie auf – ein Schrei, der sich für die anderen Menschen wie der Schrei eines Titanen anhören musste. Es gab wohl keinen Menschen in dieser Stadt, der noch am Leben war und diesen Schrei nicht hörte, der dabei keinen eiskalten Schauer verspürte und nur noch das Ende herbeisehnte.
Doch als der Schrei verklang, fuhr neue Kraft durch den Menschen. Er packte ihren Stachel und zog ihn aus seinem Körper heraus. Er hielt sie an ihrem Stachel fest, stemmte alle Kraft gegen ihre Versuche zu entkommen und schwang sie in einem Bogen über sich. Mit einer ungeheuren Wucht schlug sie auf verbrannter Erde auf. Ihre Kraft wurde bei dem Aufprall aus ihrem Körper gezwungen, und der Mensch nutzte die Gelegenheit und brach ihren Stachel ab.
Nun war es an ihr, ihren Schmerz hinaus zu schreien. Ein Teil von ihr war froh, dass es nun bald zu Ende sein würde. Zwar hatte sie noch die Macht, ihren Gegner zu vernichten. Doch die Willenskraft dazu hatte sie nicht mehr.
Plötzlich spürte sie seine Hand auf ihrem Kopf. Es war keine Gewalt darin. Er berührte die Stelle zwischen ihren Facettenaugen mit seiner Handfläche, und plötzlich spürte sie seine Kraft. Eine Kraft, die sie seit Zeitaltern nicht mehr gespürt hatte. Die Kraft des Guten. Auf einmal wurde ihr klar, wie sehr sie diese Kraft vermisst hatte. Und so nahm sie die Kraft in sich auf, ließ sich von ihr erfüllen, bis ihr ganzer Körper erleuchtet war. Sie wusste, ihre Existenz in dieser Dimension war am Ende. Sie sträubte sich nicht dagegen, sondern ließ es geschehen. Und wie aus weiter Ferne hörte sie den Gesang der Priesterinnen.

Jörg erwachte und öffnete die Augen. Nach wenigen Blicken stellte er fest, dass er mitten auf der Straße zwischen niedergebrannten Ruinen lag. Er atmete tief durch und stemmte sich auf seinen Händen nach oben.
Etwas war anders.
Er brauchte ein paar Augenblicke um zu realisieren, dass das Symbol nicht mehr da war. Sein rechter Handrücken war vollkommen natürlich, keine Dreiecke mehr. Er setzte sich auf und fragte sich, was dies zu bedeuten hatte.
Plötzlich fiel ihm der Stachel wieder ein. Er betastete seinen Bauch, doch von einer Wunde war keine Spur.
„Du hast etwas Außergewöhnliches vollbracht.“
Jörg erkannte die Stimme sofort. Eiji. Langsam wandte er sich zu ihm um.
„Du hast die Göttin von ihrer Vergiftung des Hasses erlöst. Ich hatte eigentlich erwartet, dass du sie nur tötest, aber du hast sie wieder zu einer Göttin des Lichtes gemacht. Nun ist sie wieder mit ihren Priesterinnen vereint.“
Jörg sah den einige Meter entfernt stehenden Mann ein paar Augenblicke an. Dann stand er auf und ging auf ihn zu. Der Wind blies ihm ins Gesicht und spielte mit seinen Haaren. „Das Symbol ist verschwunden,“ stellte er fest.
Eiji nickte. „Was du getan hast, erforderte große Kraft. Du hast all deine Macht gegeben, um die Göttin vor dem Bösen zu retten. Du bist nicht länger der Auserwählte.“
Jörg stutzte. „Und was ist, wenn wieder eines dieser Monster auftaucht?“
Eiji seufzte. „Die Mächte des Lichts haben getan, wie du mir geheißen.“ Er tat ein paar erste Schritte und trat an Jörg vorbei. „Sie haben sich einen neuen Auserwählten gesucht.“

Dr. Bernhardt untersuchte einen älteren Mann mit schweren Verbrennungen. Der amer Mann hatte einen Arm verloren, und die rechte Hälfte seines Körpers war so schwer verbrannt, dass er für den Rest seines Lebens entstellt sein würde. Und doch war er mit dem Leben davon gekommen.
Dieser letzte Monsterangriff hatte mehr Todesopfer gefordert als alle vorigen zusammengerechnet. Deerenstadt hatte innerhalb des letzten Monats ein Drittel seiner Einwohner bei diesen unvorhersehbaren Attacken verloren. Und viele mehr wollten der Stadt der Monster den Rücken kehren.
Unkonzentriert wies er einen Krankenpfleger an, dem alten Mann neue Verbände anzulegen und ihm noch mehr Morphium zu verabreichen. Dann wandte er sich ab.
Er sah Elizabeth Garrison, als eine Krankenschwester die junge Afro-Kanadierin in einem Rollstuhl den Korridor entlang schob. Sie sollte von einer Freundin abgeholt und nach Hause gebracht werden. Die Krankenbetten würden für dringendere Notfälle gebraucht werden.
Als sie an ihm vorbeigeschoben wurde, bemerkte der junge Arzt ihr ausdrucksloses Gesicht. Fast meinte er, sie hätte ihre Gefühle abgeschaltet. Nach der Art und Weise, wie sich ihr Freund feige verdrückt hatte, konnte er sie gut verstehen. Natürlich konnte er dem jungen Mann keinen Vorwurf machen, immerhin war der Weltuntergang vor der Tür gestanden. Doch sein Mitleid galt dieser jungen Studentin. Sie musste sich so hilflos und ungeliebt fühlen, dass es ihm schier das Herz brach.
Er verdrängte den Gedanken. Im Moment wurde er hier gebraucht. Doch während sie vorbeigeschoben wurde und er einen beiläufigen Blick auf ihre Hand auf der Armlehne geworfen hatte, hatte er etwas Neues bemerkt. Er hatte sie im vergangenen Monat ja häufiger untersucht und behandelt, aber ihm war nie aufgefallen, dass sie ihren rechten Handrücken tätowiert hatte.

Ende (bis zum nächsten Mal)
Chicks dig red Trunks!

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